Josef Schleifstein im Interview (1987)

Josef Schleifstein
Der Intellektuelle in der Partei

Gespräche

Schriftenreihe der Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung, Band 62

Herausgegeben von Wolfgang Abendroth, Frank Deppe Georg Fülberth Gerd Hardach

Joseph SchleifsteinCIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Schleifstein, Josef: Der Intellektuelle in der Partei. Gespräche
Marburg: Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswiss., 1987. (Schriftenreihe der Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung; Bd. 62)
ISBN 3-921630-70-3
NE: Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung cMarburg, Lahm: Schriftenreihe der Studiengesellschaft …
© 1987 Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaft GmbH, Rosenstraße 12/13, D–3550 Marburg
Alle Rechte vorbehalten Satz: Spiegel & Co., Marburg
Druck und Bindung: Druckerei Wenzel, Marburg
Printed in the Federei Republic of Germany

Inhalt

  1. Jugend in der Weimarer Zeit
  2. Politik der KPD vor 1933
  3. Nach dem 30. Januar
  4. Widerstand, Verhaftung, Zuchthaus
  5. Emigration in der Tschechoslowakei
  6. In London (1939–1946)
  7. Nachkriegsentscheidungen in den Westzonen
  8. Politik der KPD
  9. Historische Forschungen in der DDR
  10. 1968: Studentenbewegung. Konstituierung der DKP. Gründung des IMSF
  11. Marxismus und Naturwissenschaft
  12. Internationalismus
  13. Entwicklung der Sowjetunion
  14. Perspektiven der Bundesrepublik
  15. Anmerkungen (Fußnoten)
  16. Zur Person

Die Gespräche mit Josef Schleifstein fanden am 18., 19. und 26. Februar 1986 statt. Er hat seine Antworten bei der Vorbereitung dieses Bandes bis zum 4. April 1987 aktualisiert.
Die Herausgeber

  • Frank Deppe = F.D.
  • Georg Fülberth = G.F.
  • Gert Meyer = G.M.
  • Josef Schleifstein = J.S.

1. Jugend in der Weimarer Zeit

G.M.: Lieber Jupp, Du bist 1915 in Lodz, im früher zum zaristischen Reich gehörenden Teil Polens geboren. Kannst Du etwas über Deine Vorfahren, Deine Eltern, Deine Familie erzählen? In welchen Traditionen haben sie gestanden, in welchen kulturellen Zusammenhängen? Vielleicht kannst Du auch etwas über die ethnischen Probleme in diesem Teil Polens berichten? Wie war das Verhältnis zwischen den verschiedenen Völkern – den Polen, Russen, Juden, Deutschen? Und dann fragen wir schließlich: kamen Deine Eltern auch schon mit sozialistischen Ideen in Berührung?

J.S.: Die Schwierigkeit ist, daß ich über meine frühe Kindheit sehr wenig weiß. Ich bin als ganz kleines Kind, schon mit etwa vier Jahren, nach Deutschland »exportiert« worden. Ich konnte schon als Schulkind mich nicht an irgendeine andere Sprache erinnern, die ich gekannt hätte. Meine Eltern waren jüdischer Herkunft, aber offenbar assimiliert an die polnische Bevölkerung. Mein Vater war ursprünglich Lehrer, war schon früh mit der sozialistischen Bewegung in Berührung gekommen, mußte vor dem ersten Weltkrieg emigrieren, zunächst in die Schweiz, dann nach Deutschland. Und auch die Mutter war – vielleicht nur als Sympathisantin, das weiß ich nicht genau – mit der sozialistischen Bewegung im damaligen Kongreßpolen verbunden. Gewissermaßen bin ich durch einen Zufall noch in Polen geboren, denn mein Vater war schon in Deutschland, meine Mutter fuhr nach Hause, und darüber brach der erste Weltkrieg aus. Nach dem Krieg ist sie dann mit mir nach Deutschland übersiedelt. Der kulturelle Zusammenhang war offenbar stärker polnisch und russisch geprägt als jüdisch. Der Zusammenhang mit dem Judentum war vielleicht mehr traditionellemotionaler Natur, nie religiös oder »national«.

F.D.: Du hast in der Diskussion aus Anlaß der Intelligenz-Konferenz des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) auch schon knapp über Deinen Werdegang berichtet. Da heißt es hier: »Mein Vater sympathisierte mit den Kommunisten, meine Mutter wurde 1928 Mitglied der KPD – ich war zunächst als Gymnasiast der einzige Sozialdemokrat in unserer Familie.« Kannst Du über diesen Weg auch in dieser Familienkonstellation etwas sagen. Du wirst dann 1931 als 16jähriger Mitglied des Kom­munistischen Jugendverbandes. Wie bist Du zur SPD gekommen?

J.S.: Zur SPD bin ich gar nicht gekommen. Ich sympathisierte als Gymnasiast mit den Sozialdemokraten. Jeder linke Gymnasiast zu dieser Zeit stand ja unter einem starken bürgerlichen Druck. Die ganze Atmosphäre am Gymnasium machte mich also gegenüber radikaleren Strömungen sehr skeptisch. Auf der anderen Seite war ich gefühlsmäßig stark von sozialistischen Ideen, von Gleichheitsideen, die sich gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Armut bei gleichzeitigem Überfluß wandten, von zu Hause her geprägt. Weiter rechts als sozialdemokratisch konnte ich von der häuslichen Atmosphäre her gar nicht sein; so daß ich im Mai 1929, als in Berlin 31 Tote auf der Straße lagen – aufgrund eines Befehls des sozialdemokratischen Poli­zeipräsidenten Zörgiebel – zu Hause eigentlich keine Argumente mehr hatte. Das war etwas, was mich emotional derart berührte, daß ich mich jetzt – soweit man das als 14jähriger kann – stärker mit den Unterschieden der beiden Strömungen in der Arbeiterbewegung zu befassen begann.

F.D.: War das Klima bei Euch in der Familie sehr tolerant? Habt Ihr hart gestrit­ten?

J.S.: Ja, wir haben vielleicht hart diskutiert. Aber es war insofern tolerant, als die Eltern politisch niemals irgendeine Autorität geltend machten, sondern die Einstellung hatten: Du wirst schon noch von selbst klug.

G.M.: Über welche Autoren sind die sozialistischen Ideen vermittelt worden? Also was stand bei Euch im Bücherschrank? Was hast Du als junger Mensch gelesen, was hat Dir Dein Vater gegeben oder auch nicht gegeben? Wie ist der kulturelle Zusammenhang des Sozialismus bei Dir in der Jugend gewesen?

J.S.: Die sozialistischen Ideen kamen vor diesem Alter von 14, wohlgemerkt. Sie kamen wohl eher aus den allgemeinen häuslichen politischen Diskussionen, daher, daß mein Vater die »Weltbühne« bezog, daß er linke Zeitungen hatte. Dann aus den starken emotional sozialistischen Anschauungen meiner Mutter und auch ihrem organisatorischen Beitritt zur KPD 1928. Ich begann mit den großen Romanen. Was mich unheimlich faszinierte in der frühen Jugend, waren Dostojewski, Tolstoi, zum Teil auch schon Gorki, dann aber die großen französischen Romanschriftsteller. Ich begann sehr früh, solche Autoren aus dem Bücherschrank meines Vaters und aus der öffentlichen Bibliothek zu holen, und nicht so sehr schon politische Literatur oder neuere sozialistische Belletristik.

G.M.: Was für eine Zeitung habt Ihr in der Familie gelesen?

J.S.: Mein Vater las furchtbar viel. Und er las die damaligen großen bürgerlichen Blätter, insbesondere das »Berliner Tageblatt«, dann die »Weltbühne«. Daneben bestellte dann später – und das war meine erste Bekanntschaft mit kommunistischen Auffassungen – meine Mutter die »Sächsische Arbeiterzeitung«, die damals die lokale kommunistische Zeitung für Westsachsen war. Ab und zu kaufte mein Vater auch die »Welt am Abend«, das populär-kommunistische Blatt – mehr in der Form einer leichteren Boulevard-Zeitung aufgemacht, aber politisch recht gut, glaube ich heute noch.

F.D.: Mich interessiert ein Problem, das biographisch, aber auch für den Historiker interessant sein mag: Du bist dann 16jährig in den KJVD eingetreten. Hast Du noch in der Schule Erfahrungen mit dem Antikommunismus, aber dann auch mit dem Antisemitismus gemacht? Das ist die eine Frage. Die andere Frage, die mehr den Historiker betrifft: Es ist doch interessant, daß sich eine breite Schicht von Intellektuellen jüdischer Herkunft gerade in der Zwischenkriegsperiode – als Reaktion auf die Erfahrung des ersten Weltkrieges und die Oktoberrevolution–, nach links wendet und sich der kommunistischen Bewegung anschließt. Oftmals sind sie großbürgerlicher Herkunft. Ich will jetzt nicht alle aufzählen. Das ist gewiß auch für den Historiker interessant, und es gibt zahlreiche Arbeiten zur Soziologie des Antisemitismus. Max Horkheimer, der natürlich kein Kommunist geworden ist, der aber in der Frühphase des Frankfurter Instituts für Sozialforschung eine engere Beziehung zum Marxismus hatte, hat uns dieses Phänomen in Vorlesungen erklärt. Er sagte: Dieser Druck des Antisemitismus war gleichzeitig eine Triebkraft, die auf der einen Seite ein enormes Leistungspotential freigesetzt hat, und die zum anderen auch die Radikalisierung der politischen Einstellung – also die Kritik an den herrschenden Verhältnissen – gefördert hat.

J.S.: Ja, zur ersten, biographischen Seite der Frage: bei mir war es dann so, daß ich meinen intellektuellen und moralischen Antrieb vor mir selbst nicht hätte verteidigen können, ohne wirklich aktiv zu werden. Es hätte mir nicht ausgereicht zu sagen: gut, ich stimme jetzt mit euch, also Vater, Mutter und älterem Bruder überein, sondern ich wollte dann auch etwas tun. Und der zweite, allgemeinere Aspekt. Es stimmt schon, daß der Anteil Intellektueller jüdischer Abstammung in der Arbeiterbewegung und unter den linksbürgerlichen Kräften stärker war als der Anteil der Juden an der Bevölkerung insgesamt. Aber ich würde das nicht überproportionieren und überschätzen. Wenn man genau hinsieht, wird man feststellen, daß es oft damit zusammenhängt, daß es viele berühmte, bekannte Intellektuelle – Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler – jüdischer Herkunft gab, die sich der Arbeiterbewegung oder progressiven, linken Strömungen anschlossen. Die Ursachen sind sicher auch die, die Du genannt hast, Frank. Nur dieser Anteil war quantitativ – nimmt man die gesamte jüdische Bevölkerung – doch nicht so groß, wie es infolge der vielen bekannten Namen scheinen mag. Das ist ein Irrtum, dessen Korrektur sehr wichtig ist, wenn man verstehen will, wie sich die jüdische Bevölkerung insgesamt politisch verhalten hat in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Das zweite ist, daß die Wirkung des Antisemitismus auf den Charakter des einzelnen, der sich der Arbeiterbewegung oder linken Strömungen zuwandte, ganz verschieden war. Er hat sicher eine sehr viel stärkere »Anfälligkeit« für soziale Probleme, für Unterdrückung, für Ungerechtigkeit erzeugt. Er hat also sicher manche Motivation bewirkt, sich den Richtungen anzuschließen, die für Unterdrückte, für Arme, für sozial Benachteiligte Partei ergriffen. Dann gab es ja objektive Barrieren. Wer Politik machen wollte, konnte als Jude kaum in eine Partei oder Strömung gehen, die rechts von der Demokratischen Partei, der späteren Staatspartei gewesen wäre, weil ja alle anderen, selbst die Deutsche Volkspartei Stresemanns, in irgendeiner Form – wenn auch relativ mild – antisemitisch waren. Insofern waren schon objektive Barrieren für die parteipolitische Betätigung von Juden gegeben. Aber ich glaube, man darf die Zahl der aktiven jüdischen Intellektuellen in der Arbeiterbewegung und in den linken Strömungen nicht überschätzen. Allerdings war ihr Anteil natürlich höher als der Anteil derer, die die Nazis dann als die »Arischen« bezeichnet haben. Unterdrückte Minderheiten sind verständlicherweise immer stärker in progressiven Bewegungen repräsentiert als nicht-unterdrückte, ganz gleich, in welchem Lande man es untersucht. Noch ein Aspekt zum Antisemitismus in der Schule. Der begann schon in dieser Zeit, wenn auch in unserer Schule – ich besuchte ein Realgymnasium – erst seit 1930. Nur muß ich einschie­ben, daß ich persönlich in einer – wenn man will – privilegierten Situation war. Die Schule war von mir »abhängig«: Ich mußte bei jedem Schulfest Klavier spielen, irgendeinen Sonatensatz von Mozart oder Haydn oder ein Schubert-Impromptu. Außerdem hingen Schüler in der Klasse mehr von mir ab, weil in den meisten Fächern sie von mir und nicht ich von ihnen abschreiben wollten, so daß ich da kein Maßstab bin. Ich war der einzige jüdische Schüler in meiner Klasse von etwa 25, und ich habe noch keinen Antisemitismus gespürt. Als kleinen Witz könnte man anfügen: der einzige, der schon ein junger Nazi war damals in meiner Klasse, hatte das Pech, daß ich eines Tages in der kommunistischen Zeitung meiner Eltern eine Anzeige seines Vaters, eines Handwerksmeisters, entdeckte und nun den Schülern zeigen konnte, wie weit es mit der Nazi-Konsequenz in seinem Elternhaus bestellt war. Da war er politisch unten durch in der Klasse.

G.M.: Wie war es bei den Lehrern?

J.S.: Die Lehrer waren im wesentlichen deutschnational-konservativ. Wenn einmal einer bürgerlich-liberal war, dann war das schon eine seltene Ausnahme bei uns. Offene Nazis gab es damals unter meinen Lehrern nur einen. Und der war durch sein Verhalten und durch sein »Können« unbeliebt, bei der ganzen Klasse. Wenn er gerade mich herausholen wollte, weil die Klasse lärmte, fand sich immer einer, der sagte, er sei derjenige gewesen, der es getan habe, und nicht der Schleifstein.

F.D.: Ich würde da gern noch eine Frage anschließen, mit der wir zugleich etwas vorgreifen, um dann das Thema abzuschließen. Du hast mir einmal gesagt, daß Deine ganze Familie schrecklich durch die Vemichtungspolitik der Nazis in den KZs dezimiert wurde. Du selbst – wir werden noch darüber sprechen – bist dann als Kommunist in die Emigration gegangen. Inwieweit beeinflußt Dich diese Erfahrung noch heute? Wir haben wieder Antisemitismus-Diskussionen in der Bundesrepublik, die Diskussionen im Zusammenhang mit dem 8. Mai 1985, Bitburg, Antisemitismus-Diskussionen in Frankfurt und so weiter. Wie weit sind Deine Einstellungen zur Problematik des Faschismus, zur deutschen Geschichte auch durch diese Erfahrungen bis heute bestimmt? Erfuhrst Du diese Problematik mit dem kühlen Intellekt des marxistischen Theoretikers und Historikers – oder ist das nicht doch auch eine sehr starke, schmerzliche emotionale Erfahrung?

J.S.: Es ist sicher eine starke emotionale Erfahrung. Das ist ganz unvermeidlich. Aber es ist unmöglich, Emotion und Ratio zu trennen, vor allen Dingen für einen Menschen, der ein ganzes Leben lang Marxismus gelesen und versucht hat, Marxismus zu begreifen, der wissenschaftlich gearbeitet hat, unmöglich, die Emotionen nicht durch diese Rationalität kontrolliert, geläutert zu sehen. Das ist ganz unmöglich. Und insofern habe ich bei allen Emotionen nie daran gezweifelt, daß der Antisemitismus nicht eine deutsche Erscheinung ist, daß unter ähnlichen historischen Bedingungen und Schicksalen auch andere Völker in ähnliche Situationen hätten kommen können. Das heißt, ich habe nie die Neigung empfunden, das deutsche Volk mit dem deutschen Faschismus, dem deutschen Imperialismus gleichzusetzen. Vielleicht kommen wir später einmal dahin, daß ich das erklären kann.

G.M.: Aber bis zu dieser tödlichen Konsequenz ist es nur in der deutschen Geschichte gekommen.

J.S.: Ja. Pogrome gab es in der Vergangenheit in vielen Ländern. Aber es ist richtig: bis zu dieser Konsequenz ist es nur in der deutschen Geschichte gekommen. Aber das ist, wie ich glaube, nichts spezifisch Deutsches. Es kann nicht durch einen Volkscharakter erklärt werden. Das wäre Rassismus mit umgekehrtem Vorzeichen. Es ist etwas spezifisch ImperialistischFaschistisches. Die Konsequenz hängt damit zusammen, daß die Bestialität eines ökonomisch und militärisch so starken Imperialismus, die Bestialität herrschender Klassen, die auf Weltherrschaft aus sind, ganz andere Dimensionen annimmt und dadurch auch die Folgen von ganz anderer Dimension sind. Verbunden mit dem Rassenwahn ergab das die Einmaligkeit des Völkermordes durch den Hitlerfaschismus. Die Dimension der Verbrechen gegen andere Völker, Polen und Russen, war gar nicht soviel geringer,was beweist, daß es nicht nur Rassenpolitik gegen die Juden gab.

G.M.: Noch eine Frage zum Problem der Schule. War Deine Schule schon eine republikanische Schule oder noch eine wilhelminische Schule? Hast Du da viel gelernt? Gab es positive Impulse für Deine spätere wissenschaftliche Betätigung? Oder würdest Du heute sagen, Du wärst am besten gar nicht zur Schule gegangen?

J.S.: Das ist schwer zu sagen. Es war noch eine stark wilhelminisch bestimmte Schule. Das gilt meiner Meinung nach für nahezu alle Gymnasien der Weimarer Republik. Der ganze Charakter aller historischen, irgendwie ideenträchtigen Fächer war wesentlich bestimmt von der deutschnational-konservativen, aus der wilhelminischen Epoche stammenden Ideologie, auch in Sachsen. Ich will es an einem Beispiel illustrieren, das mir dazu einfällt: Sachsen war – ich glaube anfangs neben Preußen – das einzige Land, wo der Verfassungstag der Weimarer Republik ein Feiertag war. Es gab offenbar die Anordnung, diesen Verfassungstag in den Schulen durch eine kleine Feier zu begehen. In unserer Feier sprach an diesem Tag immer derselbe Lehrer, ein Mann, der dem Dialekt nach aus Nordbayern stammte. Er sprach also regelmäßig über die Verfassung, aber nicht etwa über die Weimarer Verfassung, sondern über die Bismarck‘sche Verfassung von 1871.

G.M.: Aber Ihr habt die Feier im August gemacht, nicht im Januar.

J.S.: Im August.

G.M.: Welchen Beruf wolltest Du ergreifen, als Du Abiturient warst? Was waren Deine Wünsche?

J.S.: Ich habe angefangen, Musik zu studieren, in Leipzig. Das war aber zu dieser Zeit schon nicht mehr mein Berufswunsch. Das Musikstudium resultierte daraus, daß meine Eltern und auch die ersten Klavierlehrer – vom 6. Jahre an – mich für musikalisch begabt hielten, kein Wunder in einer ostjüdischen Familie. Es gab so viele Virtuosen dieser Herkunft, daß offenbar die Eltern alle glaubten, sie hätten musikalische Wunderkinder. Ich habe die Musik sehr geliebt, ich liebe sie bis heute. Aber mein Interesse hatte sich seit dem 15. Jahr bereits verlagert auf Politik, Geschichte, Philosophie. Ich habe – schwarzer Humor – einmal gesagt, mich hätten die Nazis in der Berufswahl »gerettet«, indem sie mich einsperrten.

F.D.: Du hast vorhin gesagt, daß Du in der Schule gespielt, bei Veranstaltungen gespielt hast. Bist Du auch als Konzertpianist aufgetreten?

J.S.: Nein, so weit war ich noch lange nicht. Ich habe gelegentlich in Jugendsendungen des Rundfunks gespielt. Leider hatte ich das Pech, infolge einiger für eine spätere berufliche Entwicklung nicht geeigneter Lehrer technisch völlig versaut worden zu sein und noch einmal ganz von vorn anfangen zu müssen. Aber da ließ dann auch schon das Interesse nach. Ich wäre wahrscheinlich zur Musikwissenschaft und Musikgeschichte übergegangen. Aber ich wurde ja dann am 1. November 1933 schon verhaftet.

G.M.: Bedauerst Du im nachhinein, daß Du das nicht hast weiterführen können?

J.S.: Nein, ich bedauere es nicht. Ich wäre allenfalls ein durchschnittlicher Musiker geworden. Ob ich mich der Musikgeschichte gewidmet hätte, weiß ich nicht. Das ist eine andere Frage.

F.D.: War das eigentlich typisch für Intellektuelle Deines Alters am Ende der Weimarer Republik, daß sie sich vielleicht einen bürgerlichen Beruf für absehbare Zeit nicht mehr vorstellen konnten, sondern der Ansicht waren, die wichtigste Aufgabe sei jetzt doch die Politik?

J.S.: Ich glaube, das war für viele typisch, für viele, die mit Leidenschaft engagiert waren. Es ist ja auch ganz einleuchtend, daß man den großen Bedarf an geistig-theoretischer Arbeit als junger Intellektueller, an sich selbst, aber auch in der Bewegung spürt, und daß man ja dann oft gar nicht das Maß und die Wirkung der Antriebe beurteilen kann. Man fühlt sich zur Politik hingezogen. Angesichts der sozialen Unsicherheit in geistigen Berufen übt doch eine berufliche Entwicklung mit der Politik im Mittelpunkt, eine Existenz als »Berufsrevolutionär«, auch noch mit den »romantischen« Aspekten, die das zu haben scheint oder auch hat, eine große Anziehungskraft aus.

F.D.: Zu diesem Übergangsfeld Musik-Politik.Du hast einmal erzählt, daß Du eine musikalische Truppe, eine Agitprop-Gruppe, im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands geleitet hast. Kannst Du uns etwas darüber erzählen?

J.S.: Die Agitprop-Gruppen haben damals durch politische Szenen, oft auch kleine politische Schauspiele, durch Lieder die Versammlungen, Kundgebungen usw. der Kommunistischen Partei und des Kommunistischen Jugendverbandes umrahmt. Sie spielten eine große Rolle im dem berühmten Film: »Kuhle Wampe« des Jahres 1931. Da sieht man noch die damals bekannteste Gruppe: »Das rote Sprachrohr« in Berlin. Das waren oft sehr begeisternde Auftritte, und da alle diese Gruppen ja auch musikalische Begleitung brauchten, war ein Klavierspieler immer nützlich. Außerdem hat mich das auch begeistert. Musikalisch war Hanns Eisler seit 1930 eine Offenbarung. Es gab keinen Komponisten, der die Stimmung des revolutionären Flügels der Arbeiterbewegung so reflektiert und geprägt hat. Das war natürlich auch eine sehr emotionale Bindung, wenn einen Musik interessierte, die solche politische Tätigkeit nahelegte. Es war meine Form der politischen Tätigkeit, eine äußerst anstrengende, denn das politische Leben war so, daß fast jeden Abend Versammlungen, Kundgebungen stattfanden, und wir fuhren auch überall herum. Es bedeutete sehr viel Arbeit.

F.D.: Seid ihr auch auf die Dörfer gefahren?

J.S.: Hauptsächlich in die Städte, die kleinen Städte, beispielsweise vor Streiklokale, vor Betriebe, selten auf die Dörfer. Wir haben Lieder gesungen und kleine politische Szenen aufgeführt. Die konnte man oft nur kabaretti­stisch, satirisch aufführen. Manche waren etwas länger. Es gab ja auch den Arbeiter-Theater-Bund Deutschlands (ATBD), übrigens war sein Vorsitzender damals Arthur Pieck, der Sohn von Wilhelm Pieck; eine leitende Rolle spielte darin Alfred Kurella. Der ATBD gab auch Hefte mit Szenen heraus, die von Schriftstellern geschrieben waren, die mit der KPD sympathisierten. Es mußte also nicht jede Gruppe selbst produzieren, obwohl viele Gruppen den Ehrgeiz hatten, sich selbst die Szenen zu schreiben. Das war literarisch und dramatisch sehr unterschiedlich. Es gab die auch formal guten Stücke vom »Roten Sprachrohr« in Berlin oder auch von der »Kolonne links« in Berlin. In Düsseldorf war der Ratgeber dieser Gruppen Wolfgang Langhoff, der ihnen als Regisseur half. Es gab oft bekannte Schauspieler, die diesen Laiengruppen halfen, ein gewisses elementares künstlerisches Niveau zu erreichen.

F.D.: Mit welchen Erwartungen, Hoffnungen, Vorstellungen bist Du dann 1931 eigentlich in die kommunistische Bewegung eingetreten? Wir sollten kurz versuchen, die Situation des Jahres 1931 zu erfassen, die gesamtpolitische Entwicklung und die Entwicklung der KPD ab 1930. Der Faschismus kam einerseits als unmittelbare Gefahr und als Massenbewegung auf; auf der anderen Seite der Höhepunkt der Konfrontation innerhalb der Arbeiterbewegung KPD und SPD. Mit welchen Erwartungen bist Du in die kommunistische Bewegung eingetreten? Ich glaube, das sollten wir an den Anfang stellen, weil wir dann im Blick auf das Jahr 1933 noch viele zusätzliche Probleme ansprechen müssen.

J.S.: Die Erwartungen waren sicher überhöht, ganz unvermeidlich, einmal von der Jugend her: ich war 16 Jahre alt. Natürlich auch von der Situation selbst her. Es war für einen jungen Menschen mit starkem sozialem Antrieb kaum vorstellbar, daß die Menschen Massenarbeitslosigkeit dieser Art, das Elend dieser Jahre lange aushalten würden, ohne zu rebellieren, ohne revolutioniert zu werden. Diese Vorstellung war fast unvermeidlich, würde ich sagen, auch wenn man es später als illusionär erkannte. Man sagte sich: alle Menschen sehen das doch! Die Geschäfte sind voll mit den schönsten Dingen, es gibt alle Möglichkeiten, und dennoch hungern Millionen Menschen, leben von den armseligsten Unterstützungen. Das System bringt es nicht fertig, die brachliegenden Arbeitskräfte zu beschäftigen. Das schien einem derart wahnsinnig, daß man sich sagte: die Leute müssen doch merken, daß der Weg, der das mit sich gebracht hat nach der Novemberrevolution 1918, nicht richtig sein kann. Und unsere Vorstellung als junge, unerfahrene Menschen war die: das können die sozialdemokratischen Massen doch nicht mehr lange mitmachen. Sie müssen ja begreifen, daß wir recht haben. Diese Vorstellung war uns selbstverständlich, weil das, was wir vorfanden, ja das Ergebnis dessen war, was seit 1918 sich entwickelt hatte. Und wir waren viel zu unerfahren, um die ganze Widersprüchlichkeit des geschichtlichen Prozesses und die ungeheuren Komplikationen, die sich da auftaten, die ganze Dialektik des Agierens und Reagierens in solchen historischen Situationen zu verstehen.

G.F.: Was hat denn das konkret damals in Leipzig ausgemacht? Leipzig ist eine der ältesten Städte der Arbeiterbewegung und hatte damals, soviel ich weiß, eine bürgerliche Stadtregierung, wahrscheinlich war Goerdeler noch Oberbürgermeister. Aus den Erinnerungen von Selbmann weiß ich, daß die zu der Zeit einen sehr berüchtigten sozialdemokratischen Polizeipräsidenten hatten, Fleißner, und die Sozialdemokratische Partei in der Stadt, ganz gewiß von alters her, sehr stark verankert war. Das mußte bedeuten, daß die Kommunisten in Leipzig doch in einer deutlichen Minderheitsposition waren. Seid Ihr nun eine neue Schicht gewesen, die politisch gehandelt hat, oder seid Ihr im wesentlichen aus einer Abspaltung von der SPD hervorgegangen, oder wart Ihr nur junge Leute, während die älteren vielleicht noch alle bei der Sozialdemokratie waren? Wie sah das lokalpolitisch aus?

J.S.: Ursprünglich – das heißt nach der Novemberrevolution – waren es sicher die jüngeren Kräfte, die zur KPD gegangen waren. Man darf aber nicht vergessen, daß die USP in Leipzig sehr stark war, daß also die KPD hier seit dem Herbst 1920 nicht klein war, vielmehr eine große Massenunterstützung hatte. Als ich in den Jugendverband kam, waren die Kommunisten in Leipzig eigentlich schon stark. Nicht so stark wie die Sozialdemokratie, aber es entsprach fast der späteren Relation, etwa von den Novemberwahlen 1932 oder der in ähnlichen Großstädten. Es war natürlich nicht wie im Ruhrgebiet, nicht wie in Berlin, aber so ähnlich wie in den anderen Großstädten. Sicher war die kommunistische Bewegung in ihrer Alterszusammensetzung sehr viel jünger, und – was glaube ich wichtiger war – in der sozialen Zusammensetzung weit stärker geprägt, sowohl bei ihren Mitgliedern als auch bei den Anhängern, durch die Arbeitslosigkeit. Unsere Beziehungen zur SPD waren nicht sehr gut. Bis etwa 1932 herrschte bei den jüngeren Mitgliedern, die zur KPD kamen, der Gedanke vor: die sozialdemokratischen Massen müssen ja jetzt endlich erkennen, daß der Weg, den die SPD geht, falsch ist. Wir hatten nicht die Idee, sie sind unsere Gegner – das bezogen wir weitgehend auf die Politik der Führung, auf die Führer – sondern: wir müssen auf Teufel komm‘ raus die Sozialdemokraten davon überzeugen, daß sie unseren Weg gehen. Der Einheitsfront-Gedanke, der in die Richtung ging: wir müssen mit den Sozialdemokraten als Sozialdemokraten, als sozialdemokratische Mitglieder und als Organisation jetzt gemeinsame Sache machen, der fiel uns Jüngeren viel schwerer als den Älteren und vielleicht auch denen, die nicht in den Betrieben waren, den Arbeitslosen oder Intellektuellen, viel schwerer als denen, die in den Betrieben und den Büros arbeiteten. Das ist eine Frage, die man von der individuellen Erfahrung her noch einmal untersuchen müßte. Viele Kommunisten hatten noch Arbeit. Aber auch die bekannte Statistik, die ich in meinem kleinen Büchlein über die »Sozialfaschismus-These« bringe1, gibt nicht genau wieder, daß die Kommunisten vom Wähleranhang her keine so starke Arbeitslosenpartei waren. Diese Statistik reflektiert nur die soziale Zusammensetzung der Mitgliederschaft.

G.M.: Die Wähler hatten noch mehr Arbeit als die Mitglieder?

J.S.: Natürlich. Wir hatten noch viele Wähler, die in den Betrieben waren, wir hatten auch viele rote Sportler, Arbeitersänger oder Anhänger im Jugendverband, die nicht Parteimitglieder waren. Aber trotzdem: nimm unsere Agitprop-Gruppe, die konnte im Grunde nur arbeiten, weil alle erwerbslos waren, außer mir, der ich noch zur Schule ging.

G.F.: Könnte das nicht bedeuten, daß sich das auch auf die literarische und musikalische Form der Arbeit dieser Agitprop-Gruppen auswirkte, die ja rein musikgeschichtlich und theatergeschichtlich in bester Erinnerung ist? Kann es nicht sein, daß unter Umständen ein Widerspruch besteht zwischen der hohen künstlerischen Entwicklung dieser Agitationsart und der Möglichkeit, Massenanklang zu finden, weil hier Arbeitslose einwirken wollen auf Leute, die eine Arbeit haben?

J.S.: Möglich. Aber das würde ich nicht verbinden mit dem künstlerischen Niveau, das übrigens keineswegs überall hoch war. Das möchte ich doch jetzt sehr relativieren. Ich würde es in die Richtung umkehren wollen, daß der Einfluß der Gesamtpolitik sich viel stärker ausprägt in solchen Agitprop-Formen. Oft waren die radikalsten Töne sprachlich auch durch die satirische Form bedingt, gerade in den Publikationen, in den Zeitungen, in den Agitprop-Materialien, auch in den Szenen der Agitprop-Gruppen. Diese besonders radikalen Ausprägungen in der Form, in der Sprache mußten allerdings zusätzliche Barrieren für das Verständnis sozialdemokratischer Arbeiter in den Betrieben bringen.

G.F.: Du meinst politische Barrieren?

J.S.: Ja, politisch, nicht ästhetisch. Ästhetisch würde ich eher sagen: im Gegenteil. Denn ein von Eisler geschriebenes Arbeiterlied, wenn man es auf musikalischem Niveau vergleicht mit den Jahre vorher noch gesungenen Chören der Arbeitersängervereine, mußte auch die sozialdemokratischen Arbeiter sehr viel mehr packen, elektrisieren, als das, was sie vorher sangen.

G.F.: Wären die wirklich bereit gewesen, sich durch diese neuen Formen anziehen zu lassen?

J.S.: Ja ich glaube, es packte sie einfach sehr viel mehr. Die alten Chöre paßten nicht mehr zur Situation. Das ist auch dadurch beweisbar, daß es zunächst noch sozialdemokratisch geprägte Vereine waren, die die ersten Eislerschen Chöre sangen, etwa »Auf den Straßen zu singen« oder andere.

G.M.: Nach der großen Krise brauchte man eine neue Musik?

J.S.: Es ist sicher keine mechanische Beziehung. Aber es ist die Erfahrung einer tiefen Erschütterung, die mit der Krise sich zuspitzte, aber schon in der ganzen Nachkriegsentwicklung steckt. Die war natürlich mit dem ganz flachen, rosaroten Optimismus, dem nicht durch Leiden hindurchgegangenen Optimismus, gar nicht vereinbar. Was sollten die Massen in dieser Zeit der Massenarbeitslosigkeit mit dem reinen »Empor zum Licht« anfangen? Da gab es einen tiefen Bruch. Und der wird am adäquatesten reflektiert durch Eisler und wenige andere. Es ist ja auch kein Zufall, daß die unmittelbar mit der SPD verbundene Kunst (nicht die sozialistische oder im weitesten Sinne auch utopisch beeinflußte linksbürgerliche Kunst) in dieser Zeit nichts Bedeutendes hervorbringt.

F.D.: Wie würdest Du Dir eigentlich erklären, daß in der damaligen Situation ja doch eine revolutionäre Kunstform, ich denke jetzt auch an Eisler, entsteht, die auf einem sehr hohen Niveau sozusagen musikalische Form und künstlerische Ausdrucksform im Zusammenhang mit revolutionärer Politik reflektiert und die Massen in dieser Zeit ergreift, während man – vielleicht ist das nicht ganz richtig – heute sagen müßte, daß wir doch auch viele neue künstlerische, kulturelle Formen haben, aber wenn ich mir die Songgruppen der jungen Leute anschaue, dann sind die ja in der Entwicklung einer eigenen kulturellen ästhetischen Artikulationsform und nehmen viele Elemente aus der Pop- und der Rockkultur. Das ist eigentlich mit Eisler überhaupt nicht zu vergleichen, also was das Niveau der ästhetischen Reflexion betrifft. Und trotzdem hat die Eislersche Musik die Massen ergriffen. Wie erklärst Du Dir diese Differenz?

J.S.: Ich würde sie mir in der Hauptsache so erklären, daß die Attraktion, die die Aktionskraft einer revolutionären Massenbewegung, die sehr starke, in die Zukunft weisende Impulse auslöst, auf geniale künstlerische Begabungen groß ist. Zu einer solchen Umwälzung in der Sprache des Arbeiterchores, des Arbeiterliedes gehört eine große Begabung wie Eisler, dem andere gefolgt sind. Diesen neuen Ausdruck mußte eben ein wirklich genial begabter Künstler finden. Aber man darf nicht unterschätzen, daß die Wirkung Eislers auch ein Erbe beinhaltet. Eisler ist nicht ohne das Erbe denkbar. Dieses Erbe schließt Kurt Weill ein, der unmittelbar vorausgeht, sein musikalisches Material, seine Songgestaltung usw. in der Dreigroschenoper. Dieses Erbe ist auch ein klassisches Erbe plus ein Aufgreifen neuer Formen. Eisler war Schönberg-Schüler, allerdings mit dem konsequenten Anspruch, daß er von vornherein versucht hat, das Arbeiterlied und alles, was er schrieb, auf sein Publikum hin zu schreiben, daß er nie versucht hat, das Verständnis der Massen in dem Genre, in dem er für sie schrieb, zu überfordern. Aber es geht auch um ein klassisches Erbe. Wenn ich es an einem einfachen Beispiel illustrieren soll: »Der rote Wedding«, das populärste aller Eislerlieder von der Melodik her, zitiert eine Stelle aus der schwierigsten aller Beethoven-Sonaten, der Hammerklaviersonate BDur op. 106. Also so entfernt vom Erbe ist selbst das nicht.

G.M.: An welche Freunde vor dem Jahre 1933 – vielleicht noch aus der Schulzeit oder aus der kommunistischen Jugendbewegung – kannst Du Dich erinnern? Was habt Ihr gemeinsam gemacht und erhofft? Was ist aus ihnen später geworden?

J.S.: Ich darf vielleicht einen Genossen erwähnen, der aber erst nach meinem Eintritt in den Kommunistischen Jugendverband einer meiner besten Freunde wurde. Sein Name ist der einer berühmten Figur im Roman »Nackt unter Wölfen« von Bruno Apitz. In diesem Buchenwald-Roman ist er die Hauptfigur: Herbert Bochow. Er war auch mit Bruno Apitz befreundet. Aber im Roman ist er eine symbolische, eine Phantasiefigur. Herbert Bochow, der später als Mitglied einer Berliner und Dresdner Widerstandsgruppe von Arbeitern, Intellektuellen und Künstlern hingerichtet worden ist, war damals einer meiner besten Jugendfreunde. Er war ein junger Schriftsteller und Publizist, der dann beruflich in der Agitprop-Abteilung der KPD arbeitete. Mit ihm habe ich damals viel diskutiert und philosophiert – wie man das in der Jugend tut, über die ganze Welt, über die Lage in Deutschland. Ich habe von ihm viel gelernt. Wir hatten beide literarische und künstlerische Neigungen, aber außerdem weite historische und philosophische Interessen. Vom Aussehen her war er das Gegenteil von mir. Die Nazi-Schergen werden ihn wahrscheinlich später oft gefragt haben, wie denn so ein hellblonder, germanischer Mustertyp überhaupt in die kommunistische Bewegung kommen kann.

G.M.: Was hat er später gemacht?

J.S.: Er ist von den Nazis 1942 hingerichtet worden, er hatte in einer der aktivsten Widerstandsgruppen dieser Jahre gearbeitet.

G.M.: Hast Du ihn noch nach 1933 getroffen?

J.S.: Nie wieder. Nein. Er war in Deutschland. Ich wurde nach der Entlassung aus dem Zuchthaus als »staatenlos« abgeschoben und bin dann nach Prag gegangen.

2. Politik der KPD vor 1933

F.D.: Wir sollten jetzt über die Politik der KPD vor 1933 diskutieren. Im Zusammenhang Deiner Erfahrungen als Jugendlicher drängt sich geradezu die Frage auf, ob die Politik der KPD in dieser Periode – auch mit ihren Fehlern – nicht in gewisser Weise unvermeidlich gewesen ist. Mir scheint, daß die Auseinandersetzung mit dieser Frage vor allem für junge Leute, die beginnen, sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Bewegung zu beschäftigen, außerordentlich wichtig ist. Einige Elemente der KPD-Politik dieser Periode (wie die sogenannte »Sozialfaschismustheorie«, das Verhältnis zu den Sozialdemokraten, die Einschätzung der Bedeutung der bürgerlichen Demokratie) wurden später – und bis heute – als Fehler bezeichnet und sind bald (1934/35 – man könnte auch sagen schrecklich spät!) korrigiert worden. Waren diese Fehler unvermeidlich? Ich nehme an, du wirst diese Frage nicht uneingeschränkt bejahen. Aber wo liegt denn – aus heutiger Sicht – die Spannung zwischen dem, was notwendig, und dem, was an Alternativen möglich war? Du selbst hast ja in den letzten Jahren ein kleines Buch zur Sozialfaschismus-These veröffentlicht.

J.S.: Ja, das ist schwer, kurz zu erzählen. Ich will es versuchen, ohne daß ich jetzt im historischen Rückblick einer unmittelbaren Antwort ausweichen will: Aber ich glaube, im historischen Sinne waren manche der Fehler unvermeidlich. Ich will es zu begründen versuchen: Nehmen wir 1930 oder 1931. Wenn man da eine historische Bilanz der europäischen Entwicklung ziehen wollte, was konnte man da eigentlich folgern für Deutschland, insbesondere vom Standpunkt der beiden Strömungen der Arbeiterbewegung? Man konnte nur das Resümee ziehen: Zwei Wege sind in Europa nach dem ersten Weltkrieg von der Arbeiterbewegung eingeschlagen worden. Der eine Weg in Rußland, der andere Weg hauptsächlich in Deutschland und in Österreich. Wie sah die Bilanz aus? Auf der einen Seite entwickelte sich – unter furchtbaren Schwierigkeiten, ganz gewiß, wie wir inzwischen wissen, mit großen Belastungen – ein selbständiger antiimperialistischer Staat, regiert von den Kommunisten, mit einer sich entfaltenden Wirtschaft, sich auf eigene Füße stellend, die Verteidigungskraft ausbauend, konterrevolutionäre Gefahren überwindend. Auf der anderen Seite, wo ja das Versprechen, den Kapitalismus zu überwinden, genauso lebendig war nach der Revolution von 1918, entwickelt sich zunächst die Restauration und später, abermals gegen alle Versprechungen und Beteuerungen, sogar die faschistische Gefahr. Die Gesamtbilanz war, wenn man nicht der Totalitarismus-These anhing (die es ja inhaltlich – wenn auch nicht terminologisch – gab), so eindeutig für den jungen, revolutionär gestimmten Arbeiter oder Intellektuellen, der in die politische Bewegung kam, daß einem Zweifel gar nicht möglich schienen, daß man glaubte – ich habe es ja schon gesagt – , es ist gar kein anderer Weg denkbar. Nimmt man nun diese Gesamtbilanz, wie sie einem damals erschien und wie sie ja auch 1933 in furchtbarster Weise bestätigt wurde, dann bestand für Selbstkritik bei uns, von den fundamentalen Forderungen und Zielen her, gar keine besondere Notwendigkeit – muß ich (für mich) bis zum Jahre 1931 jetzt sagen. Es schien einem der Bedarf für Selbstkritik noch gar nicht gegeben oder kaum gegeben. Wir merkten schon, daß unsere Sprache nicht stimmte, daß wir den sozialdemokratischen Arbeitern anders gegenübertreten mußten, freundschaftlicher, kameradschaftlicher. Das alles merkten wir schon. Oder daß wir sie nicht als kleine Zörgiebels anreden durften, das merkten wir auch. Nur war das wohl sehr viel komplizierter im Betrieb, wo man einem sozialdemokratischen Betriebsrat, der ganz auf der offiziellen Parteilinie oder Gewerkschaftslinie war, gegenüberstand. Das war sehr unterschiedlich. Aber in der großen Linie, würde ich sagen, existierte das innere Bedürfnis nach einer sehr gründlichen Selbstkritik wenigstens bei uns Jüngeren noch nicht. Geht man also von den objektiven Bedingungen aus, so gibt es noch einen anderen Grund, weshalb ich glaube, daß die Fehler in gewissser Weise Elemente des Unvermeidbaren in sich bargen, Elemente, die darin begründet sind, daß prinzipiell der revolutionäre Weg derart bestätigt schien gegenüber dem reformistischen Weg, daß die konkrete Analyse der Bedingungen darüber sehr vernachlässigt wurde. Meiner Meinung nach kommt subjektiv hinzu, daß die Verarbeitung Lenins in der deutschen, vielleicht sogar in der internationalen Arbeiterbewegung eine einseitige Verarbeitung war; daß man den gesamten Lenin, der die Probleme der Stellung zur Demokratie, zur bürgerlich-demokratischen Umwälzung in Rußland, die ganzen Fragen der Übergänge von bürgerlich-demokratischen zu sozialistischen Umwälzungen behandelt hatte, eigentlich kaum – auch das ist wiederum historisch verständlich – verarbeitet hatte, auch theoretisch kaum verarbeitet hatte, wie das später dann auf und nach dem VII. Weltkongreß geschah. Ich verweise hier auf die Bedeutung der Schrift »Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution« von 1905. Eben hierdurch wurde auf dem VII. Weltkongreß und auf der Brüsseler Konferenz der KPD korrigiert, daß es eigentlich keine Alternative mehr gebe als die zwischen Imperialismus und Sozialismus. Hierdurch wurde die Möglichkeit zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegenüber reaktionären, faschistischen Systemen erschwert. Das wurde allenfalls pragmatisch, taktisch behandelt. Es trat konkret immer wieder auf: Kapp-Putsch, Rathenau-Mord, Verteidigung einzelner demokratischer Rechte und Freiheiten. Aber nicht als strategisches Problem. Und dadurch wurde die kommunistische Bewegung in gewissem Sinne von der faschistischen Entwicklung überrascht; insofern als eben der Lenin, der über die historischen Wechselbeziehungen von Demokratie und Sozialismus geschrieben hatte, ungenügend rezipiert worden war.

G.M.: Aber die Weimarer Republik zeigte ja der Arbeiterbewegung vor allem ihre reaktionäre Seite, so daß der Zugang, über diese Lenin‘schen Positionen eine andere Einstellung zur bürgerlichen Demokratie zu erhalten, sehr erschwert war.

J.S.: Absolut. Das habe ich versucht zu sagen. Man braucht nur daran zu denken, daß es in den letzten Jahren der Weimarer Republik stets 5.000–6.000 politische kommunistische Häftlinge gab. Dennnoch hätten natürlich die deutsche Partei und die Kommunistische Internationale diese Veränderungen in einem so starken kapitalistischen Land wie Deutschland gründlicher mit den Maßstäben der Lenin‘schen Theorie verarbeiten müssen. Es gab diese objektiven Schranken. Insofern gab es auch unvermeidbare Fehler, beeinflußt von der vorangegangenen historischen Entwicklung, wie sie dann auch Dimitroff in seinem Referat auf dem VII. Weltkongreß geschildert hat.2 Aber es ist ganz offensichtlich, daß eine leninistische Analyse diese Veränderungen in den Herrschaftsformen hätte anders beurteilen müssen. Demgemäß hätte auch die sich verändernde Rolle der Sozialdemokratie anders verstanden werden müssen, so wie das dann 1935 geschah.

G.F.: Es reicht wahrscheinlich doch nicht aus, das dadurch zu erklären, daß die Weimarer Republik der kommunistischen Bewegung nur ihre reaktionäre Seite gezeigt hatte. Denn das ist ja nun Theoriebildung gewesen, die nicht nur von der KPD vorgenommen worden ist, sondern schon 1928 von der Kommunistischen Internationale. Und da wäre schon die Frage zu stellen: Wie kommt es eigentlich, daß die Fähigkeit, neue Informationen zu verarbeiten, die vorgelegen haben, so gering gewesen ist? Das kann ja nicht eine Sache der Massenstimmungen allein gewesen sein, zumal es für eine kommunistische Partei nicht ausreicht, sich auf Massenstimmungen zu berufen.

J.S.: Ja, absolut korrekt. Ich würde sagen, das resultiert hauptsächlich aus zwei Ursachen. Die eine Ursache war, daß nach einem so gewaltigen geschichtlichen Ereignis wie der russischen Oktoberrevolution die Neigung unerhört groß war, einen bestimmten Weg (das finden wir auch historisch in der Verarbeitung der französischen Revolution durch revolutionäre bürgerliche Kräfte in den verschiedenen Ländern Ende des 18. Jahrhunderts) auch in den Formen, wovor Lenin ja schon gewarnt hatte, zu verabsolutieren. Und man muß das auch stimmungsmäßig erlebt haben, um zu begreifen, wie groß diese Neigung zum unmittelbaren Vergleich der deutschen und der russischen Entwicklung, zur Verabsolutierung des russischen Weges war, besonders bei uns Jüngeren.

G.M.: Das Beispiel der Sowjetunion war unmittelbar Tagespolitik, hat direkt hineingewirkt in das politische Denken und Handeln.

J.S.: Natürlich. Das darf man nicht vergessen.

F.D.: Nun gibt es noch die These von bürgerlichen Historikern, die die Politik der KPD in einer ganz anderen Weise auf die innenpolitische Situation in der Sowjetunion zurückführen. Zur KI-Politik, vor allem zur KPD-Politik in dieser Zeit in Deutschland sagen Hermann Weber und andere: degeneriert zum Befehlsempfangskomitee für Stalin. Dabei wird die These immer wieder variiert, daß die damaligen inneren Auseinandersetzungen in der Sowjetunion – sowohl der Übergang zum Industrialisierungsprogramm ab 1928 als auch die AuseiQandersetzung mit den sogenannten Rechten, also mit der Bucharin-Gruppe, schließlich auch die Nachwirkungen der Auseinandersetzungen mit Trotzki – letztlich dazu geführt haben, diese »ultralinke« Phase der Politik der KI und dann auch der KPD einzuleiten.

J.S.: Das ist – auf gut Deutsch gesagt – Quatsch. Die meisten der Älteren, die diese These verfochten haben, wissen sogar, daß es barer Unsinn ist. Kein Mensch brauchte den radikalisierten entweder kommunistischen oder mit den Kommunisten sympathisierenden Arbeitern zu erklären, daß der Weg der Weimarer Republik falsch war. Selbst die sozialdemokratischen Massen sahen ja, daß er nicht der richtige war. Sie blieben der Sozialdemokratie treu, weil sie bestimmte Resultate der Weimarer Republik erhalten wollten. Aber daß diese Resultate unbefriedigend waren, daß sie nicht zum Sozialismus geführt, daß sie nicht zur Überwindung der Wirtschaftskrise und zur Sicherheit der Arbeitsplätze geführt hatten, das sahen sie natürlich alle. Sie wollten nicht zu den Kommunisten, weil ihnen dieser Weg nicht aussichtsreich erschien, weil sie vieles von dem, was die Führer über die Kommunisten sagten, glaubten, weil sie sich eine Revolution nicht vorstellen konnten, aber nicht, weil sie mit den Gesamtergebnissen der Weimarer Republik einverstanden gewesen wären. Insofern bedurfte es keiner äußeren Anstöße. Ich würde im Gegenteil sagen: manchmal gab es ja Anstöße von der Komintern gegen Sektierertum. Später auch völlig berechtigte Anstöße in anderer Richtung von seiten der Kommunistischen Partei Deutschlands.

G.M.: Kannst Du noch einmal auf die Genesis des ultralinken Kurses eingehen? Kam er aus Moskau oder nicht?

J.S.: Es wird behauptet, die sektiererischen Fehler in der Politik der deutschen Kommunisten seien aus Moskau, aus der Komintern gekommen. Es sei eine Fernsteuerung gewesen. Das ist Unsinn. Es bedurfte in Deutschland keiner solchen Anstöße. Solche Anstöße kamen aus der deutschen Realität. Massenhaft. Seit 1918. Die Niederschlagung der Kämpfe in Berlin 1918/19, die Kämpfe im Ruhrgebiet, die Bewaffnung der Freikorps, die Untätigkeit nach dem Kapp-Putsch und dem Rathenau-Mord, die Absetzung der Arbeiterregierungen von Sozialdemokraten und Kommunisten in Sachsen und Thüringen 1923 – das waren die Anstöße für diese Politik. Und sie gingen ja später weiter. Beispielsweise der konkrete Anstoß für die RGO-Politik (im übrigen gingen manche Anstöße einer linken Gewerkschaftspolitik international auf die deutschen Erfahrungen zurück) kam aus dem Massenausschluß kommunistischer Gewerkschafter aus den ADGB-Gewerkschaften. Politik ist immer Wechselwirkung, immer Aktion und Gegenaktion. Insofern bedurfte es solcher Anstöße von außen überhaupt nicht. Später allerdings, das muß man sagen, als die deutschen Erfahrungen mit der unmittelbaren faschistischen Gefahr reifer waren, beispielsweise als es um die Teilnahme an dem preußischen Volksentscheid im Sommer 1931 ging oder dann in der Auseinandersetzung mit sektiererischen Positionen in der KPD gegen die Auffassungen von Heinz Neumann, Hermann Remmele und anderen, da bestärkten die Anstöße seitens der Komintern oft ultralinke Haltungen. Es ist sicher, daß die Parteiführung der KPD mit Thälmann damals in den Fragen der Aktionseinheit, der Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie, weiter war, als es Ratschläge aus der Komintern ermöglichten.

G.F.: Was meinst Du, hätte auf dem Höhepunkt der Krise nach 1929 eine KPD-Führung, die sich konsequenter auf eine Politik der Aktionseinheit orientiert hätte, den gleichen Masseneinfluß wahren können, den sie nun tatsächlich hatte?

J.S.: Ja, ich glaube bestimmt, daß sie nicht nur diesen, sondern noch einen größeren Einfluß gehabt hätte. Es ist eine Tatsache, daß, je konsequenter, je massiver die KPD-Führung eine wirklich verständliche, für breitere Teile der sozialdemokratischen Arbeiterschaft einsichtige Einheitsfrontpolitik betrieb – seit dem Frühjahr 1932, wenn auch noch nicht ausreichend –, sie an der Basis bei den Sozialdemokraten desto mehr Anklang fand. Das geht auch aus den damaligen Polizeiberichten eindeutig hervor. Etwas anderes ist die Frage, ob die sozialdemokratische Führung anders reagiert hätte, falls die KPD sich stärker auf eine Einheitsfront von unten »und« von oben eingestellt hätte. Das ist schwer zu entscheiden. Aber ich glaube nicht, daß die sozialdemokratische Führung anders reagiert hätte. Das ist das eigentliche Problem dieser Jahre. Es gibt ja Einheitsfrontappelle der KPD an den entscheidenden Knotenpunkten. Die Reaktion ist bekannt. Sie war- von der Führung der SPD und des ADGB – immer rein negativ.

Und die These vieler sozialdemokratischer und linksbürgerlicher Historiker, daß eine andere Politik möglich gewesen wäre, wenn die KPD schon vorher anders agiert hätte, die würde ich auch aus folgendem Grunde bezweifeln. Die SPD-Führer waren ja erfahrene Politiker. Wenn sie selbst ehrlich eine gemeinsame Abwehr des Faschismus gewollt, aber den kommunistischen Angeboten mißtraut hätten, dann hätte ihnen ein sehr einfaches Mittel zur Verfügung gestanden, um die KPD auf die Probe zu stellen: sie hätten ihrerseits die Bedingungen einer Zusammenarbeit formulieren und zu einer Kooperation auf dieser Basis auffordern können. Und ich bin fest überzeugt, ein ehrlicher Appell von sozialdemokratischer Seite wäre befolgt worden. Die Kommunisten hätten nicht gewartet oder beiseite gestanden, wenn ein Appell zum Generalstreik, zum Massenstreik, zu Massenaktionen von der SPD erfolgt wäre.

F.D.: Kam es denn zum Beispiel in Leipzig auch zu Einheitsaktionen von Sozialdemokraten und Kommunisten 1932 oder dann noch im Frühjahr 1933? In der neueren lokalen Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung dieser Periode werden in sehr vielen Städten und Regionen solche Einheitsaktionen zutage gefördert.

J.S.: Ja, solche Aktionen gab es. Aber soweit ich mich in Leipzig erinnern kann, waren es meistens entweder unmittelbare Abwehraktionen gegen den nazistischen Straßenterror in Arbeitervierteln – also des Kampfhundes gegen den Faschismus und der Jungfront mit sozialdemokratischen Genossen vom Reichsbanner. Oder es war auch die Teilnahme an Begräbnissen von Opfern. Das waren die elementarsten, auch sehr stark emotional bedingten gemeinsamen Aktionen. Es gab viele Diskussionen. Zum Beispiel wurde einer vom Kommunistischen Jugendverband (KJV) eingeladen, bei einer Gruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) über II. oder III. Internationale zu reden. Das war dann schon eine unerhört weitgehende Sache, ein äußerst mutiger Schritt. Da wurden damals allerdings auch sehr viele linke SAJler ausgeschlossen, weil sie mit der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) sympathisierten oder weil sie zu uns übergingen. Wir haben auf solchen Versammlungen nur nachzuweisen versucht, wie recht die III. Internationale hatte, und daß es nur einen Weg gab, nämlich zu den Ideen der III. Internationale überzugehen, obwohl ich theoretische Zeitschriften las, in denen z. T. andere Positionen vertreten wurden. Die Position: ganz unabhängig davon, ob Ihr noch für die II. Internationale seid und wir für die III., wir müssen erst einmal gemeinsam gegen den Faschismus kämpfen, habe ich wenigstens zu dieser Zeit wohl kaum geteilt.

G.M.: An der Basis gab es gemeinsame Abwehraktionen. Bis zu welcher Ebene gab es diese Gemeinsamkeit? Etwa bis zur Ebene eines Stadtverbandes? Wann hat sie dann in den »oberen Regionen« aufgehört?

J.S.: Es gab sie wirklich, wie wir ja inzwischen auch aus den Dokumenten wissen, auch schon auf höherer Ebene, auf Kreisebene, auf Stadtebene. Nur: die Politik der Partei war oft noch so, daß solche Initiativen, wo sie stattfanden, von der Führung kritisiert und gewissermaßen zurückgepfiffen wurden. Von sozialdemokratischer Seite natürlich erst recht – da wurden sie schärfstens bekämpft. Dafür gibt es Beispiele, die längst publiziert sind.

G.M.: Eine Frage zum italienischen Beispiel. Das hat ja bereits 1922 gezeigt, daß sich der Faschismus in einer gesellschaftlichen Krisensituation etablieren kann, auch mit einer Massenbewegung im Rücken, und daß er dann über lange Jahre hinweg sein Regime aufrechterhalten und festigen kann. Hat dieses Beispiel für Euch vor 1933 eine Rolle gespielt? Es hätte ja einen Impuls für verstärkte Einheitsfrontinitiativen vermitteln können.

J.S.: Soweit ich mich erinnern kann, hat es für die jungen Kommunisten keine Rolle gespielt. Wir hatten es – wie ich glaube – nicht verarbeitet. Ich weiß auch nicht, inwieweit es von den Gesamterfahrungen her eine Rolle gespielt hat. Ich glaube, daß die gesamte deutsche Arbeiterbewegung, der revolutionäre wie der reformistische Flügel, sehr stark beeinflußt war von der großen Tradition der deutschen Arbeiterbewegung, von dem Bewußtsein, dem Gefühl: bei uns kann das nicht passieren. Das ist infolge der Kultur- und Zivilisationsstufe, infolge der großen Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung nicht möglich. Das ist auch die Situation 1933, weshalb wir – meiner Meinung nach in beiden Teilen der Arbeiterbewegung, vielleicht mit Ausnahme sehr erfahrener Theoretiker und Politiker – der Meinung waren: der Faschismus wird in Deutschland eine Episode sein. Das läßt sich eine Arbeiterklasse wie die deutsche nicht lange gefallen. Ihre unmittelbare Kraft in der Ökonomie ist erhalten, die große Masse der deutschen Arbeiter ist unempfänglich, unempfindlich für die faschistische Agitation – wie das der gewaltige Block der Arbeiterstimmen auch noch Ende 1932 zeigte. Diese Masse der Arbeiter, mit ihrem kulturell-politischen Niveau, mit dieser Tradition wird nicht passiv bleiben. Ich würde sagen, ich hatte dieses Empfinden auch noch nach dem Januar 1933, selbst noch im Zuchthaus. Wir hatten schon die furchtbare Warnung von Ernst Thälmann.3 Aber wir haben angenommen, die Arbeiterklasse, von den Betrieben her, wird sich das nicht lange gefallen lassen. Wir teilten die Vorstellung von einer Massenstreik- und Generalstreikbewegung. Es würde eine ähnliche Lage wie zur Zeit des Kapp-Putsches entstehen. Das waren ja lebendige historische Erfahrungen von elementarer Natur. Selbst Historiker, wie wir wissen, sind geprägt von Analogien. Das darf man nie vergessen.

F.D.: War es nach 1933 – zur Zeit der Verfolgung und der Emigration – nicht für einen Marxisten, einen Kommunisten, besonders schwer, mit diesen neuen Erfahrungen – vor allem auch im Blick auf das Verhalten der Arbeiterklasse – umzugehen? Ich meine damit einmal den Bruch im Traditionsbewußtsein der deutschen Arbeiterbewegung. Wie konnte es kommen, daß diese starke Kraft, dieses »Bollwerk«, vom Faschismus geschlagen wurde? Zum anderen, das ist vielleicht noch wichtiger: Die Erfahrung des Faschismus hat nun einmal gezeigt, daß die Arbeiterklasse durch direkte Gewalt, aber auch durch Demagogie und Manipulationstechniken, durch rassistische und chauvinistische Ideologien beeinflußt, zumindest für eine bestimmte historische Periode »stillgelegt« werden kann. – Dafür waren ja auch die Jahre nach 1914 ein Beispiel.

J.S.: Natürlich. Das war eine furchtbare Erfahrung. Sie wurde gerade für die Kommunisten noch verstärkt durch die Erfahrung des zweiten Weltkrieges, durch die Erfahrung des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion, durch die Rolle der Arbeiterklasse und des ganzen deutschen Volkes im zweiten Weltkrieg. Diese Erfahrungen haben wir erst im Verlaufe des zweiten Weltkrieges ganz verarbeitet. Sicher begann eine Verarbeitung schon auf dem VII. Weltkongreß, auf der Brüsseler Konferenz der KPD. Vielleicht haben wir sie auch in ihren ganzen Ausmaßen noch nicht erkannt. Jedenfalls wurde ein ernsterer Versuch eigentlich erst während des zweiten Weltkrieges gemacht.

F.D.: Würdest Du sagen, daß der Aufruf der KPD vom Juni 1945 durch diese Verarbeitung geprägt war? Wir kommen sicher noch darauf zurück.

J.S.: Ja, er enthält sie. Aber natürlich schon Materialien des Zentralkomitees der KPD, Materialien der Kommunisten in den Emigrationsländem haben diese Erfahrungen aufgearbeitet. Eine ganz hervorragende historisch-literarische Reflexion dieser Erfahrungen, die eine große Rolle in der Diskussion der Kommunisten gespielt hat, die damals – wenn man so will – das Glück hatten, in der Emigration zu sein und über alle diese Dinge nachdenken zu können, war die Arbeit von Johannes R. Becher »Deutsche Lehren« aus dem Jahre 1944. Später ist für die ganze DDR, aber auch für viele Kommunisten und fortschrittliche Menschen in den Westzonen und der Bundesrepublik das Buch von Alexander Abusch »Der Irrweg einer Nation«4 bei dieser Verarbeitung wichtig geworden.

 

3. Nach dem 30. Januar

G.M.: Wir wollten Dich als nächstes zum 30. Januar 1933 befragen. Kannst Du Dich an diesen Tag und an die darauf folgenden Tage erinnern? Du warst in Leipzig? Wie war die Stimmung in der Bevölkerung? Was haben die Menschen erwartet, befürchtet? Kannst Du etwas über die Stimmung in einzelnen Bevölkerungsteilen sagen, vielleicht auch etwas über die Haltung der jüdischen Bevölkerung in Leipzig?

J.S.: Ich kann mich an den 30. Januar natürlich erinnern. Ich kann mich daran erinnern, daß wir alle tief erschüttert waren. Man durfte dabei nicht vergessen, daß so etwas schon in der Luft lag in den vorangegangenen Monaten. Die Berufung Hitlers als Reichskanzler war ja keine ganz außerhalb aller Möglichkeiten liegende politische Tatsache. Nur wir haben natürlich am 30. Januar zunächst, und übrigens auch noch später, erwartet: jetzt wird die Arbeiterschaft vereint handeln. Die KPD hatte zum Generalstreik aufgerufen. Das heißt, unsere ganze Arbeit war darauf gerichtet: jetzt muß etwas passieren. Und ich muß sagen, daß die jüngeren Kommunisten sogar meinten, selbst wenn die sozialdemokratischen Massen nicht mitmachten, müßten wir jetzt allein agieren. Ich habe, wenn ich ehrlich sein soll, erst später begriffen, daß wegen der sozialen Zusammensetzung der Partei, infolge der Tatsache, daß die große Masse der in den entscheidenden Großbetrieben, im Transport, im Energiesystem beschäftigten Arbeiter der Sozialdemokratie folgte, eine isolierte Aktion der Kommunisten objektiv unmöglich war. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß viele junge Kommunisten derselben Meinung waren. Und diese Hoffnung, es muß etwas Gemeinsames geschehen, die ging natürlich noch weiter. Denn zunächst waren selbst unsere Versammlungen ja nicht verboten. Es lief der Wahlkampf. Auch die Zeitungen erschienen noch, zum Teil verboten, zum Teil nicht. Wir konnten immer noch weitermachen, und unsere ganze Hoffnung und Einstellung ging eigentlich dahin: das wird sich nicht halten. Die Arbeiterklasse wird das durch Massenstreik verhindern – das war allerdings die einzige Möglichkeit, die wir uns vorstellen konnten. Wir meinten, daß auch breite Polizeiverbände in Preußen der Sozialdemokratie noch folgten, und erwarteten, daß ein Generalstreik die Nazis, das Großkapital und die bewaffneten Kräfte lähmen würde. Die Hoffnung war: das kann die Arbeiterklasse nicht unbeantwortet lassen. Und in dieser Hinsicht war die Reaktion nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 für uns ein tieferer Einschnitt als der 30. Januar unmittelbar, weil wir uns in dieser Zeit noch die gemeinsame Aktion der Arbeiterklasse vorstellen konnten. Das ist jetzt die Erfahrung eines sehr jungen, unerfahrenen Kommunisten. Möglicherweise hatten unsere Genossen in der Führung schon eine ganz andere Analyse der Situation in den Zusammenkünften, in ihren Beratungen. Die Stimmung in der Arbeiterklasse, in der Arbeiterbewegung war einheitlich die einer Erschütterung, wenn sicher auch legalistische Illusionen in der Sozialdemokratie sehr viel stärker waren als bei den Kommunisten. Bei den Kommunisten konnte es legalistische Illusionen gegenüber der Hitler-Regierung nicht geben. Die Verfolgungen setzten sehr schnell ein. Bei den Sozialdemokraten waren solche Illusionen vorhanden. Sie lasen in ihren Zeitungen: man muß Hitler als legale Opposition gegenübertreten. Das stand nicht nur im »Vorwärts« in Berlin, sondern auch in den lokalen Zeitungen. Allerdings würde ich sagen, viele der Sozialdemokraten hatten auch schon begriffen, daß das falsche Hoffnungen und Illusionen waren. Aber andere werden es sicher akzeptiert haben. Um so stärker dann ihre Erschütterung später, als diese Illusionen zerronnen sind. Es vollzog sich natürlich auch der in solchen Perioden unvermeidliche opportunistische Prozeß. Das heißt: Leute, die insbesondere unter den Beamten, unter Angestellten-Schichten um ihre Stellungen fürchteten, Leute aus dem bürgerlichen Lager, auch der Arbeiterbewegung (aber hier nur sehr begrenzt), liefen zu den Nazis über. Nach der Wahl vom 5. März sprach man von den »März-Gefallenen«. Es gab auch einzelne kommunistische Funktionäre, die dem erlagen. Es war übrigens interessant: psychologisch waren es meistens vom Typus her zur Phrase neigende Leute, also besonders »radikale« Phraseure aus der vorangegangenen Periode, die man dann plötzlich beim Gegner entdeckte.

Wenn ich einen kleinen »humoristischen« Einschub machen darf: 1949, vor den Bundestagswahlen, schickte mich die Partei zu einer Wahlversammlung nach Gummersbach im Oberbergischen. Dort trat in der Diskussion der dortige Vorsitzende der CDU auf. Er sprach mit sächsischem Akzent. Und ich überlegte schon krampfhaft: Den kennst du, wer kann das nur sein? Da kam mir plötzlich die Erleuchtung: Natürlich kennst du den. Der war 1932 aus der SPD zu uns übergetreten. Und 1933 war er von uns zu den Nazis gegangen. Und nach dem Krieg war er CDU-Sekretär im Oberbergischen. Ich war der Redner der Versammlung, hatte folglich auch das Schlußwort und konnte jetzt den Gummersbachern – es waren ja auch viele Leute von anderer Seite da – plötzlich den politischen Lebensweg dieses Mannes erzählen, den dort am Ort keiner kannte. Unsere Genossen hielten mich für einen Hellseher. Der war ich aber nicht. Der Mann stammte aus Leipzig-Engelsdorf. Ich kannte den Weg dieses Chamäleons aus eigener Anschauung.

G.M.: Es gab eine Begeisterungsstimmung im bürgerlichen Milieu in den Monaten Januar, Februar, März 1933?

J.S.: Ja, ich würde sagen, diese Begeisterung war am stärksten im kleinbürgerlichen Milieu, im Beamtenmilieu, auch im Angestelltenmilieu, bis auf die relativ geringen Teile sozialdemokratisch beeinflußter Angestellter, während die Stimmung in den Arbeitervierteln ganz entgegengesetzt war. Auch in der Sozialdemokratie ging alles in die Richtung: jetzt müßte wirklich etwas geschehen. Das heißt, die Einheitsfrontstimmung war nie so stark wie in dieser Zeit zwischen dem 30. Januar und den Wahlen am 5. März.

F.D.: Hast Du den 1. Mai 1933 in Leipzig miterlebt?

J.S.: Ja. Da war es so, daß die große Masse derer, die dahin mußten, noch Gegner des Nazismus waren und ihren ADGB-Vorstand überhaupt nicht verstanden. Wer da zuhörte und beobachtete, der wußte, daß die große Masse der Arbeiterschaft nach wie vor antifaschistisch war. Zu diesem Zeitpunkt waren die KPD und die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) bereits verboten.

G.M.: Kannst Du ein Wort zur jüdischen Bevölkerung sagen? Wie hat sie reagiert?

J.S.: Die jüdische Bevölkerung war tief erschrocken, eingeschüchtert, verstört, obwohl man immer begreifen muß, daß kein Mensch eine Vorstellung hatte von dem, was später kommen sollte. Keiner hätte es im 20. Jahrhundert für möglich gehalten, daß das, was der Phrase nach in »Mein Kampf« oder in den antisemitischen Organen und anderen Materialien der Nazis stand, jemals verwirklicht werden könnte. Selbst die ersten pogromartigen Aktionen dann im April 1933, der Boykott jüdischer Geschäfte, hätten keinen ahnen lassen, daß in Deutschland so etwas möglich sein könnte. Dann setzte die Furcht, sicher auch die Überlegung ein: Wie lange kann man noch in Deutschland bleiben? Wird sich das Regime halten können? Aber da waren die Illusionen in der jüdischen Bevölkerung kaum geringer als in der Arbeiterbewegung. Auf jeden Fall war es ein Schrecken. Doch das, was dann kam, hätte kein Mensch für möglich gehalten.

4. Widerstand, Verhaftung, Zuchthaus

J.S.: Ich habe einfach angefangen, illegal zu arbeiten, und dann wurde ich gewissermaßen »angeheuert«. Ein Genosse, der mich kannte, sprach mich daraufhin an, ob ich mit einigen älteren Genossen zusammenarbeiten würde. Er sagte mir überhaupt nicht, was das sein sollte – das war auch ein Schutzproblem. Wie ich in die Kurierarbeit bei der Bezirksleitung hineinkam – man nannte vieles damals Kurierarbeit nebenbei bemerkt – , das war so: Ich wurde gefragt, ob ich nicht die Wohnung meiner Mutter (mein Vater war Ende 1931 eines natürlichen Todes gestorben) für Beratungen von Genossen zur Verfügung stellen wollte. Ich sagte zu. Dann arbeitete bei uns in der Wohnung – wie ich später erst erfahren habe – die thüringische Bezirksleitung der KPD. Die hatte aus dem zu kleinen Erfurt, wo sie auch zu bekannt war, weggehen müssen – der engere Kopf dieser Leitung. Dann mußten sie aber auch sehr schnell aus Leipzig weg. Sie versuchten, andere Möglichkeiten in Thüringen zu finden. Ich wurde dann von dem für die Presse- und Agitationsarbeit verantwortlichen Genossen angeleitet – das war übrigens Rudolf Lindau, der Publizist und Historiker, der schon während des ersten Weltkrieges in der Hamburger Gruppe der Kriegsgegner um den Lehrer Knief war und eine großartige Erfahrung in der konspirativen Arbeit aus jener Zeit besaß. Bei ihm habe ich alles gelernt, was ich über illegale Methoden später wußte. Er heuerte mich gewissermaßen an für die Verbindung zu den Genossen, die dann die Vervielfältigungsarbeiten machten, und zu der Genossin, die die Manuskripte schrieb. Er war vorher ein führender Redakteur in der Partei gewesen, in Chemnitz und Dresden. Ich half mit bei der Erstellung von Flugblättern und Materialien. Das war die Arbeit, die ich dann auch fortsetzte, als er aus Leipzig wegging und ein anderer Redakteur, Karl Bobach aus Chemnitz, diese Arbeit fortsetzte. Auch er »übernahm« mich, und ich machte diese Arbeit weiter. Wir gingen aber dann bald hoch. In Wirklichkeit durch eine frühere Genossin, die inzwischen als Lockspitzel benutzt wurde. Ein Danziger Redakteur, der vor 1933 bei der Roten Fahne war, war von der Gestapo durch Folterung umgebogen worden. Er suchte dann alle möglichen Genossen in anderen Städten im Reich auf, darunter auch – sie war früher mit ihm befreundet gewesen – diese Genossin. Sie war unsere Stenotypistin und wurde dann von der Gestapo benutzt, um uns einzufangen, einfach bei Treffs, die sie mit uns vereinbart hatte. Ich sollte ihr gerade ein Manuskript zur Aufklärung über den Reichstagsbrandprozeß abliefern. So wurde ich am 1. November 1933 verhaftet. Ich ging gerade in eine Telefonzelle, hatte gar nichts gemerkt von den Gestapo-Leuten. Aber die dachten, ich hätte etwas gemerkt und wollte jemanden informieren. Sie kamen dann schnell in die Zelle, hielten mir die Pistolen vor. Das war am 1. November.

G.F.: Kannst Du etwas über die Haft und über die Zeit im Gefängnis und im Zuchthaus sagen?

J.S.: Die Haft war zu dieser Zeit am schlimmsten, solange man in den Händen der Gestapo war. Da war die Folterung gang und gäbe, weil sie versuchten, alles aus einem herauszuprügeln, was sie sich an Wissen und Auskünften erhofften. Bei mir gelang ihnen das nicht. Nur das, was diese Frau wußte, bekamen sie heraus. Das hatte die Wirkung, daß noch bei der Gerichtsverhandlung der Senatspräsident in für mich völlig unverständlichen schauspielerisch-pathetischen Ausführungen – dabei hatte er gar kein Publikum – sagte: »Aber Sie sagen bis heute nicht die Wahrheit.« Nur weil sie ohnehin unsere Gruppe ziemlich komplett hatten, ließen sie es bei mir dann sein. Nach 30 Tagen kam ich in den sogenannten normalen juristischen Strafvollzug. Da waren zu dieser Zeit, zumindest in Sachsen, die Formen noch einigermaßen erträglich, auch die Beköstigung. Das traditionelle System, jedoch ohne die Vorteile, die früher in der Weimarer Republik der Überzeugungstäter gehabt hatte. Es war ein System, wo man nicht mehr gefoltert wurde, wo man als Untersuchungshäftling noch Zeitungen bestellen konnte. Ich habe mir die »Vossische Zeitung« aus Berlin bestellt, die damals versteckt versuchte, noch gewisse versteckt-liberale Positionen zu vertreten. Dann hatte ich meinen Prozeß, den Prozeß mit den anderen Genossen, mit Karl Bobach, vorher Redakteur, und einem sächsischen Landtagsabgeordneten der Partei. Ich war bei weitem der Benjamin, denn ich war ja schon mit 18 Jahren verhaftet worden, und um mir Zuchthaus zu geben, mußte der Vorsitzende des Gerichtes sagen, meine Straftat hätte zwar vor der Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen, als ich noch nicht hätte Zuchthaus bekommen können, aber ich sei »voll reif« gewesen und so weiter.

G.F.: Sag mal, wie schafft man es, nicht auszusagen unter solchen Bedingungen?

J.S.: Du schaffst es nur, indem Du schweigst oder nur aussagst, was sie von dir ohnehin wissen und was keinen anderen belastet, sonst schaffst du es nicht.

G.M.: Woher weiß man denn, was sie wissen?

J.S.: Du weißt es aus dem, was sie dir sagen. Ich wußte: wen haben sie schon. Das habe ich gesehen. Dadurch wußte ich, wen ich nicht belaste. Ich sagte mir: was wußte denn die Frau, die dir als Lockspitzel entgegengeschickt wurde, damit sie dich bei dem Treff bekamen. Sie wußte aber wenig von mir. Die wußte nur, daß ich ihr von anderen Manuskripte gebracht habe, die nicht in meiner Handschrift waren, die sie dann tippen sollte. Das hatte sie ja ohnehin ausgesagt. Von mir wußte sie sonst eigentlich nur folgendes: daß ich im September – weil ich dann mehrere Treffs mit ihr absagen mußte – einmal nach Berlin gefahren war. Und da konstruierten die, ich sei ein Verbindungsmann zum ZK gewesen. Das habe ich allerdings bis zuletzt bestritten. Und sie konnten es mir auch nicht nachweisen. Es stimmte übrigens auch wirklich nicht. Denn ich war nur nach Berlin gefahren, um für Rudolf Lindau einige Dinge zu regeln. Seine Frau wohnte damals noch in Berlin. Ich mußte – und da bin ich dann fluchtartig weg-noch einen Kontakt zu einer Familie in Reinickendorf herstellen, bei der gerade die Gestapo gewesen war. So war das. Aber das haben sie auch nicht beweisen können.

G.M.: Du warst dann bis 1935 im Zuchthaus, zwei Jahre wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«.

J.S.: »Vorbereitung zum Hochverrat« – das war die generelle Anschuldigung damals, es sei denn, sie konnten dir Landesverrat wegen irgendwelcher militärischer Dinge nachweisen; wobei militärische Dinge auch sein konnten, daß du 1931 oder 1932 presserechtlich verantwortlich zeichnetest für eine Zeitung der Partei, und daß sie dann dort irgendeinen Artikel über die Reichswehr entdeckten und behaupteten, das sei Militär-Spionage und somit Landesverrat. So war das beispielsweise bei Hans Fladung, dessen Erinnerungen ich jetzt herausgegeben habe.

G.M.: Waren die Kommunisten schon vor 1933 von der Polizei katalogisiert?

J.S.: Natürlich.

G.M.: Und die Nazis konnten dann einfach nach diesen Listen vorgehen?

J.S.: Die Verhaftung der kommunistischen Funktionäre und Parteiarbeiter am Abend des Reichstagsbrandes wurde aufgrund der Listen der politischen Polizei von 11.000 Funktionären in der Weimarer Republik vorgenommen.

G.M.: Dann möchten wir fragen, wie die politischen Gefangenen im Zuchthaus die neue furchtbare Lage gesehen haben. Gab es Diskussionen, Kontroversen? Lief das politische Leben dort irgendwie weiter?

J.S.: Das muß man sehr, sehr einschränken, weil ja, im Unterschied zu den großen Gemeinschaftsräumen im KZ oder zum Teil auch im Gefängnis, im Zuchthaus die meisten der politischen Häftlinge allein in den Zellen waren und sich kaum austauschen konnten; allenfalls waren sie zu zweit in einer Zelle. Dadurch war die Diskussion sehr begrenzt. Und soweit ich das aus eigener Erfahrung sagen kann, waren unsere Hoffnungen inzwischen sehr gedämpft. Dennoch würde ich meinen, haben vielleicht nur die erfahrenen Genossen – in Waldheim saßen damals sehr bekannte Führer der KPD, wie Ernst Schneller, Georg Schumann, der mir gegenüber in der Zelle saß, oder Fritz Selbmann – mit einer längerfristigen Stabilisierung des Faschismus gerechnet. Die jüngere Generation oder diejenigen, die nicht über diese politische Erfahrung verfügten, nahmen auch im Zuchthaus noch nicht an, daß der Faschismus sich über eine längere Zeit halten könnte.

F.D.: Stimmt es, daß Du Dimitroff im Gefängnis begegnet bist?

J.S.: Das war in Untersuchungshaft in Leipzig in der Elisenstraße. Es war die Zeit, wo der Prozeß in Leipzig lief und wo alle fünf Angeklagten im Reichstagsbrandprozeß mit uns saßen. Hier habe ich auch durch das Zellenfenster Dimitroff spazierengehen sehen und hatte auch eine zufällige Begegnung mit ihm. Das stimmt. Wir haben ihn natürlich – vor allem auch die jungen Genossen – unheimlich bewundert und geschätzt. Das war – wenn man will – ein Erlebnis, denn ich hatte ja schon vor meiner Verhaftung draußen sein Auftreten im Prozeß erlebt.

G.M.: Ihr habt den Prozeß verfolgen können?

J.S.: Ja, der Prozeß wurde ja überall in der Presse veröffentlicht. Die Verhandlungen wurden publiziert, sowohl in der Nazi-Presse als auch in den traditionellen bürgerlichen Zeitungen, die sich zum größten Teil angepaßt hatten, aber von der Information her so etwas noch brachten. Ich habe den Prozeß noch die ganze Zeit über verfolgen können. Und das war sehr aufrüttelnd. Ich glaube, für alle Antifaschisten in Deutschland war es eine unerhörte Stärkung, die auch die illegale Arbeit beflügelt hat.

G.M.: Gab es zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten weitere Diskussionen um die Frage der Einheitsfront, um Schuld, Änderung der Strategie?

J.S.: Die gab es. Aber bei uns im Zuchthaus war das sehr kompliziert. Beispielsweise in Waldheim im Zellenhaus saßen in den oberen Stockwerken auch Sozialdemokraten zusammen mit den Kommunisten. Da wurde sicher auch, wo sich das machen ließ, in einzelnen Zellen viel diskutiert. Nur: ich befand mich in der Jugendabteilung, wo 18–21jährige saßen. Da waren etwa 15 politische Häftlinge, alles junge Kommunisten, und der einzige, der von der Sozialistischen Arbeiterjugend kam, hatte in der Illegalität bereits mit uns und für die KPD gearbeitet.

5. Emigration in der Tschechoslowakei

F.D.: Wir sollten jetzt zur Emigration kommen.

G.M.: Wie bist aus dem Deutschen Reich herausgekommen? Welche Staatsbürgerschaft hast Du gehabt?

J.S.: Staatenlos.

G.F.: Dein Vater war doch Beamter, wenn er Lehrer war? Und Beamte hatten automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft.

J.S.: Nein, um Gottes willen. Mein Vater mußte nach seiner Flucht aus Polen in Deutschland einen kaufmännischen Beruf wählen. – Man nahm mir alle Papiere ab, und ich bin dann im autoritären halbfaschistischen Polen illegal gewesen. Ich habe mich zu Verwandten durchgeschlagen und versucht, so schnell wie möglich Anschluß an die deutsche Emigration in Prag zu finden. Das war dann vor Weihnachten 1935. Es war nur eine kurze Episode in Polen, ich bin da nur durch, um Geld zu bekommen, und zwar ohne alle Papiere.

G.M.: Die nächste Station war dann Prag. Die Tschechoslowakei ist von allen Emigrationsländem vielleicht dasjenige, von dem wir am wenigsten wissen. Was hast Du in Prag gemacht? Du hast Kontakt mit anderen Emigranten gehabt, wie sah das aus? Wie war der Alltag, wie hast Du in Prag gelebt?

J.S.: In Prag und in der Tschechoslowakei überhaupt war eine sehr starke deutsche Emigration. Zunächst war sie stärker als irgendwo sonst, weil dieses Land nah war und weil Kommunisten und Sozialdemokraten zunächst auch hier ihre Auslandsleitungen hatten. Wir waren ja in Prag als kommunistische Emigration einige Hundert. Durch die antifaschistische Solidarität der tschechoslowakischen Partei und anderer dortiger antifaschistischer Organisationen gab es einige Emigrantenheime, in denen wir – natürlich sehr ärmlich und unter schwierigen Bedingungen – lebten. Aber wir waren untergebracht, hatten primitiv zu essen. Wir arbeiteten an uns selbst, bildeten uns weiter. Wir versuchten, unter der tschechischen Arbeiterbevölkerung Aufklärungsarbeit über den deutschen Faschismus zu leisten. Und davon getrennt – einfach auch, um den Polizeibehörden keinen Einblick zu gewähren – operierten diejenigen, die unmittelbar nach Deutschland hinein arbeiteten.

Ich wurde sehr bald, nach einer kurzen Zeit im Emigrantenheim, in diese Arbeit einbezogen. Ich arbeitete dann unmittelbar mit den Vertretern des ZK und des Politbüros, die damals in Prag waren. Wir nannten es auch Kurierarbeit. Ich half, Genossen aus dem Ausland zu empfangen, ihnen Quartiere zu besorgen, Geld zu beschaffen. Auch gehörte die Verbindung zur Grenzarbeit dazu. Ich wurde dann mit einer Gruppe der führenden Genossen – dazu gehörte u. a. Anton Ackermann – in Prag verhaftet. Man darf nicht vergessen, daß die Nazi-Diplomatie ständig auf alle Nachbarländer Druck ausübte, in denen politische Emigranten lebten und Zeitungen, Zeitschriften der politischen Emigration, der kommunistischen, der sozialdemokratischen, sogar der linksbürgerlichen erschienen – und in Prag gab es sehr viele solcher Organe.

Die Nazis nahmen Einfluß, damit die Behörden die Arbeit nach Deutschland hinein unterbanden. Die tschechoslowakische Regierung – es war damals eine rechtsbürgerlich geführte Regierung – widersetzte sich verständlicherweise nicht allzusehr diesem Druck. Es wurden oft Genossen verhaftet. Manchmal versuchte man sogar, sie an das faschistische Deutschland auszuliefern. Das gelang in den allermeisten Fällen nicht, weil der Druck der antifaschistischen Kräfte in der tschechoslowakischen Öffentlichkeit zu stark war. Auch ich wurde verhaftet, als »Komintern-Agent«, wie sie das nannten, dann aus Prag ausgewiesen und in einen damals winzigen mährischen Ort – er hat später eine große industrielle Entwicklung in der sozialistischen Ära erlebt – verbannt, unter Polizeiaufsicht. Ich durfte nicht weiter als fünf Kilometer gehen oder fahren und mußte mich immer melden. Und dort habe ich auch Tschechisch gelernt. In Prag konnte ein Emigrant nicht Tschechisch lernen, weil zu viele Leute Deutsch konnten oder er weitgehend in Emigrantenkreisen verkehrte. Dort aber war ich ganz allein auf mich gestellt, mußte mich also allmählich mit den tschechischen Genossen und Freunden verständigen und habe dann auch Tschechisch gelernt; habe aber leider das meiste wieder vergessen.

F.D.: Warst Du damals eigentlich schon verheiratet?

J.S.: Nein, meine Frau habe ich erst in London kennengelernt und habe dort erst geheiratet.

G.M.: Kannst Du noch etwas über Prag berichten? Wie war die politische Stimmung der Bevölkerung? Es gab auch einen deutschen Bevölkerungsteil und ein großes jüdisches Prag, das teilweise deutschsprachig war?

J.S.: Prag wäre ein Riesenthema. Natürlich war die große Mehrheit der Bevölkerung rein tschechisch. Der deutsche Anteil an der Bevölkerung – ich habe leider keine Zahlen – war nicht sehr stark. Dieser deutsche Anteil war groß- und mittelbürgerlich. Selbst der kleinbürgerliche Anteil war relativ gering. Deutsche Arbeiter waren ganz selten in der Prager Bevölkerung. Vielleicht waren es spezialisierte Facharbeiter, die aus Nordböhmen eingewandert waren. Insofern war der deutsche Anteil an der Bevölkerung absolut untypisch etwa für die Stimmung der Bevölkerung in Nordböhmen, in den Sudeten. Das heißt, die große Zahl von deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten, die man dort in der Arbeiterbevölkerung fand, gab es in Prag nicht. Der deutsche Bevölkerungsteil ging relativ schnell von den ehemals bürgerlich-nationalistischen Parteien zur nazistischen Henlein-Bewegung über. Die Prager tschechische Bevölkerung reflektierte das allgemeine politische Spektrum, natürlich insbesondere Sozialdemokraten, Kommunisten und die Strömung der Masaryk-Benes-Richtung, die sich Narodny-Socialisti – Volkssozialisten – nannte und eine Art radikaldemokratische Partei war. So etwa nach dem Muster der französischen Radikalsozialisten und eine betont nationale Partei mit einer kleinbürgerlichen Massenbasis, die aber aufgrund der historisch-nationalen Traditionen auch in die Arbeiterklasse hineinreichte. Auch bürgerliche und rechte Strömungen gab es natürlich; allerdings: die Massenbasis der nationalen Agrarpartei, die damals an der Regierungsspitze stand, lag auf dem Lande und weniger in Prag oder den Industriestädten.

F.D.: Deine Zeit in Prag fällt ja in die Periode nach dem VII. Weltkongreß und der Brüsseler Konferenz. Wie habt Ihr in Eurer konkreten Arbeit diese neue Orientierung umgesetzt? Dabei stellt sich eine weitere Frage: Gab es von seiten der Sozialdemokraten – da könnte man an das »Prager Manifest« denken, die Gruppe Klassenkampf, die daran wesentlich beteiligt war, die aber keineswegs die führende Strömung der Sozialdemokratie repräsentierte – oder von anderen politischen Strömungen der Arbeiterbewegung bessere Möglichkeiten des Zusammenwirkens?

J.S.: Wir haben zunächst natürlich Weltkongreß und Brüsseler Konferenz6 theoretisch verarbeitet, in intensiven, langen Diskussionen. Wir waren zwar irgendwie vorbereitet, insbesondere durch die französische Entwicklung, die wir ja bereits verfolgen konnten. Aber dennoch brachten der VII. Weltkongreß und Brüssel für uns viel Neues. Die gründliche theoretische Verarbeitung dessen, was damit verbunden war, erfolgte in diesen Diskussionen Ende 1935 und 1936. Ich kam ja erst Ende 1935 in die Emigration. Das war für uns ein entscheidender Einschnitt. Ich würde sagen, die ganze Generation kommunistischer Funktionäre – auch die, die es später erfahren haben in den Gefängnissen und Zuchthäusern, in den Diskussionen mit jenen, die diese Dokumente gelesen hatten – ist wesentlich davon geprägt. Es war der entscheidende Einfluß auf unsere ganze theoretische und politische Entwicklung und eine tiefe selbstkritische Aufarbeitung unserer Fehler.

F.D.: War das für Dich persönlich ein schwieriger Lernprozeß? Wir hatten ja vorhin davon gesprochen, daß Du mit 16 Jahren auch den typischen Radikalismus des Jugendlieben vertreten hattest.

J.S.: Ich würde sagen, ja. Obwohl ich andererseits auch glaube – das mag jetzt aber ein schönfärbender Irrtum aus der Erinnerung sein – , daß es mir verhältnismäßig leicht gefallen ist. Aber wie gesagt, das kann ein psychologischer Irrtum sein. Wir haben wirklich sehr bald – schon 1934/35 im Zuchthaus- darüber nachgedacht: haben denn nur die Sozialdemokraten Fehler gemacht, oder haben nicht auch wir Fehler gemacht? Worin bestanden diese Fehler? Darüber hat man natürlich schon im Zuchthaus nachgedacht, das ist selbstverständlich.

G.M.: Die Frage war noch: Wurden die Diskussionen mit der Sozialdemokratie leichter nach dem »Prager Manifest«?

J.S.: Das Problem ist, daß die ersten Ansätze von Diskussionen und Verhandlungen mit der sozialdemokratischen Emigration bald von der Spitze des SPD-Emigrationsvorstandes abgebrochen wurden, so daß eigentlich nur oppositionelle Sozialdemokraten sich auf Diskussionen mit uns einließen. Dies gilt insbesondere für Sozialdemokraten, die sich schon früher abgespalten hatten, etwa Vertreter der SAP, in Prag besonders Max Seydewitz und seine Freunde. Die Führung der Sozialdemokratie in der Emigration selbst um Wels, Vogel, Ollenhauer oder Stampfer hatte sich zunächst noch die Gespräche an der Spitze reserviert, sie aber dann bekanntlich nach einem Gespräch mit Ulbricht und Dahlem bald wieder abgebrochen, so daß diejenigen, die sich mit uns trafen, Leute waren, die gegen die Politik der Führung Sturm liefen. Als wir dann 1936/37 begannen – ich war ja damals noch Jugendlicher und ein Teil unserer jungen Gruppe in der Partei –, Verhandlungen mit SAJ, SJV aufzunehmen, da geschah das in Richtung auf die Bildung einer gemeinsamen antifaschistischen Jugendorganisation, die ja dann in Paris und Prag auch gegründet wurde: die FDJ. Das waren schon Gespräche mit einheitsfrontbereiten Leuten. Willy Brandt hatte ja damals den Volksfront-Aufruf unterschrieben für die Jugend der SAP. Fritz Lamm in Prag, den ich damals in diesem Diskussionszirkel kennengelernt habe, hat diesen Aufruf, soviel ich weiß, unterschrieben.

F.D.: Worauf würdest Du das zurückführen? Es hat doch in der Periode nach dem VII. Weltkongreß und während des spanischen Bürgerkrieges zahlreiche Einheitsfrontinitiativen gegeben. Ich denke z. B. an die italienische Arbeiterbewegung. Das Einheitsfrontbündnis zwischen PSI und PCI hat sehr lange gehalten – im Grunde genommen bis zu den frühen 50er Jahren. Warum kam es in der deutschen Emigration und im Widerstand nicht zu ähnlichen Formen der antifaschistischen Kooperation? Haben da die Kämpfe von vor 1933 – als historischer Ballast – noch starke Wirkung ausgeübt?

J.S.: Ich glaube vor allen Dingen, daß bei den Italienern die langen Erfahrungen des Faschismus eine größere Rolle spielten. Dann auch, daß bei ihnen der unmittelbare französische Einfluß – die Führung ihrer Emigration war ja meistens in Paris – sehr viel stärker gewirkt hat als bei uns. Aber auch von der ganzen historisch-kulturellen Tradition her kamen in Paris entsprechende Impulse. Natürlich stand bei uns die sozialdemokratische Führung ohnehin sehr viel weiter rechts und war in der Emigration stärker beeinflußt von sozialdemokratischen Parteien wie der Labour Party in England oder den skandinavischen Parteien, die viel enger mit bürgerlich-parlamentarischer Politik verbunden waren, wo diese historisch ja nicht erschüttert war. Dadurch war eine ganz andere politische Bindung da. Es ist ja kein Zufall, daß sich Max Seydewitz und auch andere linke Sozialdemokraten in der Emigration, selbst Personen vom früher rechten Flügel, wie Breitscheid in Paris, sich der Zusammenarbeit mit der KPD stärker genähert haben als der eigentliche Kern des Parteivorstandes der SPD.

F.D.: Darf ich noch eine Frage hinzufügen: Es wird von Sozialdemokraten oft gesagt, daß nach 1935 die Bedingungen für die Einheitsfrontpolitik durch die Moskauer Prozesse, dann durch Ereignisse in der zweiten Hälfte des spanischen Bürgerkrieges selbst verschlechtert wurden. Welche Rolle hat das tatsächlich gespielt?

J.S.: Für eine ganze Reihe sozialdemokratischer Funktionäre wird das zutreffen, insbesondere was die Prozesse damals in der Sowjetunion betrifft. Für die rechte Spitze ist das wohl eher ein heute vorgebrachter Vorwand. Denn es ist historisch ablesbar, daß sie nach dem Prager Manifest (Januar 1934) die praktische Kooperation zunächst verzögert haben, um sie dann zu verhindern. Das ist auch erwiesen durch die Stellungnahmen vieler linker Sozialdemokraten der Klassenkampf-Gruppe aus dieser Periode. Und es ist ja vor allem noch später nachweisbar in der Haltung der Gruppen aus dem Vorstand in England und erst recht in den USA.

G.M.: Haben diese Prozesse auch innerhalb der KPD gewirkt? Sie wurden ja in breitem Maßstab publiziert, die Protokolle waren öffentlich.

J.S.: Sie haben uns – ich habe es schon mehrfach in Diskussionen gesagt – alle erschüttert. Aber wir haben natürlich an die Existenz von Spionage und Sabotage von seiten der Nazis und des deutschen Generalstabs geglaubt. Und wir haben vor allen Dingen daran geglaubt, daß die faschistische Führung – da sie wußte, daß die Sowjetunion das stärkste antifaschistische Bollwerk war – versuchen mußte, die stärksten Unterminierungsversuche in der Sowjetunion zu unternehmen. Und auch wenn wir uns nicht erklären konnten, wie aus alten Kommunisten Verräter geworden sein sollten – das konnten wir uns nicht erklären–, war uns doch eines klar: vielleicht sind sie, ohne daß sie es wußten, durch ihre oppositionelle Haltung in die Netze der faschistischen Geheimdienste gegangen. Das ist schwer zu glauben heute. Aber wenn Ihr Euch einmal anseht, wie bürgerliche Antifaschisten jener Jahre reagiert haben – nehmt britische bürgerliche Diplomaten, die damals in Moskau in der Botschaft stationiert waren, vielleicht als junge Diplomaten, die keine ausgesprochenen Sowjetfeinde und in gewissem Sinne sogar Antifaschisten waren–, die reagierten genauso wie wir, das heißt: sie glaubten daran. Und in dem Briefwechsel der beiden vielleicht größten damaligen deutschen Physiker, beide Emigranten, Albert Einstein und Max Born, schreibt dieser an Albert Einstein in Amerika und fragt, wie er denn diese furchtbaren Prozesse einschätzt.7 Und Einstein antwortet ihm genau wie wir geantwortet haben: Ich bin fest davon überzeugt, daß die Nazis alles versuchen, um dort einzubrechen, denn sie wissen genau: das ist das Bollwerk des Antifaschismus. (Ich habe hier nur sinngemäß zitiert.) Oder die britische liberale Presse, der führende außenpolitische Korrespondent des liberalen »News Chronicle«, der als Berichterstatter an den Moskauer Prozessen teilnahm. Unabhängig von den furchtbaren Einzelheiten, auch wenn man sie im Detail nicht glauben mochte, mußte man annehmen: irgendwie versucht der Nazi-Spionageapparat dort eine gewaltige Unterminierung. Wir wissen heute, daß es anders war. Nur: daß man in der Situation des Naziterrors, des Antikomintern-Paktes von 1936, der Nürnberger Parteitage, des wütenden, massiven Antikommunismus und Antisowjetismus daran glauben konnte, das werfe ich mir bis heute nicht vor.

F.D.: Ich möchte schon an dieser Stelle eine Frage einfügen, die sich im Blick auf bestimmte Gegenwartserfahrungen aufzudrängen scheint. Nicht wenige aus jüngeren Generationen, die das Gefühl haben, die Arbeiterbewegung erleide nur Niederlagen, die kommunistische Bewegung komme nicht voran, reagieren mit Resignationstendenzen. Wenn wir nun die Periode zwischen 1933 und 1941 betrachten – die Niederlage von 1933, KZ, Folter und Emigration, die Niederlage der Antifaschisten in Spanien, der Beginn des zweiten Weltkrieges, der Überfall auf die Sowjetunion bis zu Stalingrad –, dann stellt sich doch die Frage, wie verkraftet man eigentlich ein solches Jahrzehnt psychologisch? Wir haben doch vorher von den großen Hoffnungen und Erwartungen gesprochen, die Dich als 16jährigen 1931 in den Kommunistischen Jugendverband geführt haben. Du hast selbst von dieser starken Hoffnung gesprochen: eine neue revolutionäre Periode muß anbrechen, der Kapitalismus ist reif für die proletarische Revolution. Und jetzt wurden die revolutionären Kräfte geschunden und gejagt. Außerdem darf man die schwierige Situation in der Sowjetunion nicht vergessen. Also, wie kommt man da durch?

J.S.: Ich glaube, da muß man stärker die dialektischen Aspekte des widerspruchsvollen Entwicklungsprozesses sehen. Es war eben nicht nur eine Periode von Niederlagen. Es ist eben Angriff und Gegenangriff. Es ist Vormarsch der Reaktion und des Faschismus, und es ist eine massive Abwehr in Frankreich, in Spanien, ein antifaschistischer Aufschwung in den parlamentarischen Demokratien in Westeuropa und in Nordamerika. Es ist gleichzeitig, was man nie vergessen darf, eine gewaltige Periode der Stärkung und des Aufbaus in der Sowjetunion. Das kann man ja aus der Geschichte nicht streichen. Für uns deutsche Antifaschisten, für die spanischen Republikaner und französischen Antifaschisten, später natürlich, in den ersten Jahren des zweiten Weltkrieges, für alle Antifaschisten, für alle progressiven Kräfte in Westeuropa, in Nordamerika, wahrscheinlich in der ganzen Welt schien es ein zunächst einseitiger Prozeß des Vormarsches der Weltreaktion, des Faschismus. Aber wie gesagt, für uns war es kein geradlinig negativer Prozeß. Es war ein Prozeß, in dem es auch machtvolle Aufschwünge der antifaschistischen Bewegung und eine ungeheuere Stärkung der Sowjetunion gab- bei all dem, was dort gleichzeitig innenpolitisch vor sich gegangen war. Das relativiert die einseitige psychologische Beeinflussung. Aber es kommt, glaube ich, noch etwas anderes hinzu. Aufgrund der historisch-politischen Grundkonstellation war den politisch überzeugten Sozialisten ja keine andere Alternative möglich. Sollten sie resignieren – aus Mangel an Erfolg? Dazu war, glaube ich, bei denen, die in der kommunistischen Bewegung arbeiteten, aber auch bei den bewußten Sozialisten in der Sozialdemokratie Überzeugung zu stark und auch das historische Denken zu sehr verankert. Manchmal war die Überzeugung vielleicht einfach naiv, eine naive Grundüberzeugung. Wir dachten in historischen Perspektiven. Wir alle wußten: die Arbeiterbewegung ist schon ziemlich alt. Die Alten hätten ja längst aufgeben müssen, wenn sie in so kurzen historischen Fristen gedacht hätten. Da hätten sie schon in Deutschland zur Zeit des Sozialistengesetzes aufgeben müssen. Für uns war es ja auch eine Frage der historischen Gesamtentwicklung, die Lage so einzuschätzen, solange man – das war das große Problem – davon überzeugt sein konnte, daß die Faschisten nicht durchkamen.

G.M.: Aber die Faschisten hatten dauernd Siege zu verbuchen!

J.S.: Sie hatten gewaltige Erfolge, aber keine andauernden. Wir wußten im Grunde genommen – man mag das mit religiösem Glauben vergleichen –, wir waren überzeugt davon: sie kommen in der Sowjetunion nicht durch.

G.M.: Nur – die politische Identität mancher Genossen ist auch zerbrochen. Peter Weiss beschreibt das eindrucksvoll: zerbrochen nicht nur an den Widersprüchen der Politik, sondern auch an der materiellen Not in der Emigration, an der Isolation, an den dauernden Verfolgungen, an Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, auch am Mißtrauen. Überall waren ja auch Gestapo-Leute.

J.S.: Weißt Du, ich habe das ja in der kommunistischen Bewegung erlebt – im Unterschied zu Peter Weiss. Das soll nicht heißen, daß sein Roman keine richtigen und sehr wichtigen Aussagen über jene Zeit enthielte. Das ist absolut der Fall.8 Nur: wenn man sich einmal überlegt: wer ist aus dem Kern der kommunistischen Emigration, wie ich ihn in Prag und später in London gekannt habe, denn wirklich abgefallen? Ganz, ganz wenige. Ein verschwindend geringer Prozentsatz. Und der vielleicht mehr aus privatpersönlichen als aus politischen Gründen. Das ist eine Tatsache. Der ist dann zum Beispiel beruflich einen anderen Weg gegangen, ist deshalb in England geblieben oder hat sich aus der Politik zurückgezogen. Das gilt für einige, aber nur sehr wenige. Damit will ich nicht sagen, daß es in Schweden genauso gewesen sein muß, obwohl ich das annehme. Anders war es an der Peripherie. Aber da muß man wieder sagen: unsere Emigrationsgruppe beispielsweise hat, später durch die Internierungslager befördert, Hunderte junge jüdische Emigranten zu Kommunisten gemacht. Sie mußten als Kinder oder Jugendliebe aus Deutschland oder Österreich mit ihren Eltern weg, wurden in der Emigration zu Kommunisten und sind dann meist nach Deutschland, in die spätere DDR, zurückgegangen. Mit uns kamen sie zusammen, weil sie zunächst eine gesellige Organisation suchten. Sie begegneten uns in der FDJ oder dann in der Internierung.

G.M.: War das in der Tschechoslowakei?

J.S.: Hauptsächlich in England, aber auch schon in der Tschechoslowakei. In der Tschechoslowakei fing es an, da hatte diese Arbeit aber noch geringen Umfang, weil ja da nicht allzu viele Emigranten waren, fast nur politische Emigranten.

F.D.: Ich will noch einmal auf die psychologische Problematik zurückkommen. Ich stelle mir vor, gerade jetzt in Prag, wahrscheinlich noch stärker als in England, obwohl da die Kriegssituation hinzukommt, man hat Angst. Es scheint doch normal, daß man in einer solchen Situation auch Angst hat. Politische Arbeit – vor allem von Kommunisten – hat auch damit zu tun, daß man einerseits durch Wissen über welthistorische Prozesse, andererseits aber auch durch die Kraft der Solidarität diese Angst immer wieder überwindet. Was waren denn solche Ereignisse in der damaligen Zeit, die Ihr wie Siege gefeiert habt? Haben zum Beispiel die chinesischen Ereignisse Mut gemacht?

J.S.: Kaum. In der Tschechoslowakei wohl noch nicht. Was eine Rolle gespielt hat, waren erstens die Aufbauerfolge in der Sowjetunion, trotz aller inneren Komplikationen. Zweitens der Nachweis der Verteidigungsfähigkeit der Sowjetunion bei den japanischen Überfällen 1937/38 und die Rolle, die die Sowjetunion begann, in der internationalen Politik zu spielen, nachdem 1935 die Verträge mit Frankreich und der Tschechoslowakei zustande gekommen waren. Drittens – das ist jetzt keine Rangordnung – die antifaschistischen Ereignisse in Spanien, die gewaltigen Energien, die Frankreich und Spanien für die Volksfrontideen, für die antifaschistische Front überhaupt in Westeuropa auslösten – auch die großartige kulturelle Bewegung, die hiermit verbunden war. Weltberühmte Künstler und Wissenschaftler näherten sich dem Marxismus, den Kommunisten an. Viele führende Geister Europas begriffen: der Kommunismus ist die Hauptkraft des Antifaschismus, dadurch aber auch die zivilisatorische, kulturelle Kraft der Gegenwart. Das waren unerhörte Erlebnisse. Auch die Solidarität mit Dimitroff, mit Thälmann, die von Romain Rolland, von Barbusse, von Hunderten anderer getragen wurde, spielte eine große Rolle. Vor allem in Frankreich, in England und in den USA gab es eine Hinwendung zahlreicher Wissenschaftler zum Marxismus.

G.F.: Jetzt wart Ihr ja insofern auch wieder – trotz allem – in einer politisch (ich sage: politisch!) privilegierten Situation, als Ihr der sozialen Basis von Anpassung, die es damals in Deutschland gegeben hat, selbst als Emigranten entzogen gewesen seid. Die ganzen Gratifikationen, die der Faschismus auf seine eigene Massenbasis verteilt hat, das habt Ihr unmittelbar nicht zu spüren bekommen. Der Anpassungsdruck lastete auf Euch nicht.

J.S.: Nein. Der Stamm der kommunistischen und sozialdemokratisch-bewußten Arbeiter, erst recht derer, die Widerstand geleistet haben, aber derer auch, die die Kraft nicht aufbrachten, aktiv Widerstand zu leisten, die aber passiv abwartend ihre Gesinnung behielten, die haben diesem Druck eigentlich nicht nachgegeben. Es sind Millionen, die diesem Druck im Innern vom Denken her nicht nachgegeben haben, schon gar nicht in den allerersten Jahren, bestimmt nicht vor den Kriegserfolgen.

G.F.: Die Umstellung auf die Illegalität im Lande selbst, Umstellung auf Fünfer-Gruppen hat ja bedeutet, daß große Teile der Genossen dann organisatorisch fast nicht mehr erfaßt gewesen sind, fast nicht mehr betreut wurden. Und dann: der weitere Kreis der Arbeiter-, Kultur- und der legalen Massenorganisationen ist entfallen, und an ihre Stelle treten nun die faschistischen Massenorganisationen, von denen man zumindest eine fast nicht vermeiden konnte, nämlich die Deutsche Arbeitsfront. Das heißt, viele, die vorher fest eingebunden waren, sind nun im Faschismus in einem luftleeren Raum gewesen, der aber sehr schnell mit neuen Organisationsformen gefüllt wurde, die von den Faschisten beeinflußt gewesen sind. Im Vergleich dazu konntet Ihr ja noch sozusagen unter Laboratoriumsbedingungen arbeiten.

J.S.: Wir lebten sozusagen unter natürlich gegebenen antifaschistischen Bedingungen. Es war kein Kunststück, in der Emigration Antifaschist zu sein. Aber man war es ja schon vorher und hatte es in der illegalen Arbeit und im Zuchthaus bewiesen.

G.M.: Du hast auch einige der sozialdemokratischen Emigranten kennengelernt. Wie sahen diese Begegnungen aus? Hast Du Max Seydewitz gekannt?

J.S.: Man darf nicht vergessen, ich war ja ein ganz junger Spund, und da war es klar, daß ich zunächst zu den Älteren, Reiferen aufblickte und sie im Umgang kaum – außer unsere eigenen Genossen — kennenlernte. Ich habe solche Genossen von der anderen Seite eigentlich nur gehört, wenn sie einmal im kleineren oder auch größeren Kreis öffentlich auftraten. Ich glaube, ab 1936 gab es in Prag für die linke Intelligenz den Bert-Brecht-Club. Dorthin kamen auch Vertreter der Prager deutsch-jüdischen Intelligenz. Da habe ich zum ersten Mal Ernst Bloch erlebt. Und dort sprachen dann auch mal andere Vertreter der Emigration; die offizielle Sozialdemokratie nicht, aber linke um die »Neue Weltbühne« gruppierte Kräfte.

Hauptsächlich trafen sich unsere Leute in diesem Bert-Brecht-Club. Egon Erwin Kisch und andere sprachen da, auch tschechische Literaturwissenschaftler, Künstler, soweit sie deutsch referieren konnten. Irgendwo habe ich dann auch mal Seydewitz gehört, aber natürlich nicht auf der Ebene eines gleichrangigen Verhandlungspartners mit ihm gesprochen. Die Emigrationsleitung hatte damals bei uns Wilhelm Koenen, der ja auch später in London war. Ich durfte aber, seit ich in der unmittelbaren Deutschlandarbeit war, nicht in diesen Emigrationsumkreis gehen, weil ich sonst mich und andere, die mit mir arbeiteten, gefährdet hätte. Ich wäre dann der tschechischen politischen Polizei aufgefallen. Ich figurierte in Prag als Student, und obwohl ich nicht inskribiert war, saß ich jeden Morgen früh um 8.00 Uhr pünktlich in der Universitätsbibliothek. Das waren meine historischen und philosophischen Studien. Anders wäre ich dazu nie gekommen. Wenn man mit 18 Jahren in den Knast kommt, kann man es anders nicht machen.

F.D.: Was hast Du gelesen?

J.S.: Angefangen habe ich mit Marx, Engels, Mehring plus Historie überhaupt. In diesen Bereichen hatte ich schon früher gelesen. Ein Genosse, der Erinnerungen aus der Emigration publiziert hat, behauptete, ich sei schon damals theoretisch gebildet gewesen. Das ist sehr geschmeichelt. Aber ich hatte sicher gelesen oder einfach Wissen gesammelt, ganz unsystematisch, während ich in Prag schon systematischer Geschichte und Philosophie gelesen habe.

G.F.: Wann hast Du angefangen zu schreiben?

J.S.: Zu schreiben habe ich viel später angefangen. Die allerersten schriftlichen Versuche datieren zurück auf die erste Illegalität in Leipzig, wo ich so kleine Flugblatt- oder Aufklebertexte gemacht habe und zu den Materialien, die man mir gab, Stellungnahmen und Beurteilungen anfertigte. Oder man wollte eine Kritik haben von mir: Wie schätzt Du die Betriebszeitung ein? Wie beurteilst Du den Inhalt, die Sprache? Das waren überhaupt die ersten schriftlichen Versuche.

G.M.: Hast Du regelmäßig geschrieben?

J.S.: In Prag noch nicht, nein. In Prag habe ich für Ernst Reinhardt (Alexander Abusch), der damals die illegale Rote Fahne redigierte, damit ich nicht nur in meinen technischen Arbeiten und in meinen Selbststudien aufging, eine Kritik der »Roten Fahne« gelegentlich geschrieben. Aber das waren keine selbständigen Arbeiten. Mein erster Versuch datiert in die Zeit unmittelbar nach Prag. Meine Mutter hatte meine Exzerpte aus dem Zuchthaus gerettet. Da ich im Zuchthaus viel über die Rassentheorie gelesen habe, schrieb ich dann in Mähren meinen ersten, etwa 70-seitigen Text über die Rassentheorie. Der ist aber nie veröffentlicht worden. Bei der Übersiedlung nach London ist er zusammen mit meiner zweiten Bibliothek verlorengegangen. Ich bin ja noch am 11. März mit einem Flugzeug der KLM herausgekommen, und am 15. März 1939 war Prag besetzt. Viele unserer Genossen sind damals an der tschechisch-polnischen Grenze hochgegangen: Max Reimann, Walter Bartei und viele andere sind nicht mehr aus der Tschechoslowakei herausgekommen.

G.M.: Kannst Du noch etwas über das jüdische Prag sagen, das dann von den Nazis vernichtet wurde?

J.S.: Das jüdische Prag: da muß man differenzieren. Es war auch wieder – die quantitativen Verhältnisse kann ich nicht angeben – ein geteiltes Prag. Ich würde sagen, das ärmere kleinbürgerlich-jüdische Prag war ein tschechisches Prag, hatte die tschechische Sprache und Kultur angenommen. Das reichere, mittel- bis großbürgerliche jüdische Prag hatte starke Wurzeln in der österreichischen Zeit, stammte teilweise auch aus den deutschsprachigen Städten der tschechoslowakischen Republik oder des früheren Königreiches – Karlsbad, Reichenberg usw. – und war ein deutschsprachiges Prag. Die Prager literarische Tradition des jüdischen Bürgertums war hauptsächlich deutsch. Das war das intellektuell-mittelbürgerliche Milieu. Dennoch gab es einen sichtbaren Bruch. Du hattest immer jüdische Familien, die tschechisiert-so nannten sie es-waren, und du hattest die traditionell deutschsprachigen, auf Wien orientierten Familien. Auch in den tschechischen sprach man noch deutsch, oder man kannte es zumindest. Man war aber bewußt übergegangen auf die tschechische Seite, aus Sympathie zur Republik, wegen der heranwachsenden Kinder oder aus anderen Gründen. Aber Bekannntschaften hatten wir natürlich hauptsächlich mit unseren eigenen Genossen: Egon Erwin Kisch, der in den Emigrantenheimen als Zauberer auftrat – ich habe ihn dort selbst erlebt – oder Franz Carl Weiskopf, der ja bereits in Berlin mit der KPD gearbeitet hatte und dann in der Emigration weiter in der deutschen antifaschistischen Presse schrieb. Es gab eine ganze Reihe dieser bereits mit der deutschen oder mit der österreichischen Partei verbundenen Freunde. Wir haben sie erlebt durch die Solidarität der – naturgemäß – antifaschistischen Juden, die uns irgendwie halfen, indem sie uns Mittagstische gaben oder die Möglichkeit, ihren Kindern Stunden zu geben. Ich habe das dann später in Mähren noch mit dem tschechischen Bürgertum in meinem Verbannungsort erlebt. Ich konnte mich ja nur aufrecht erhalten, indem ich sämtliche Stunden annahm, die ich bekam.

G.M.: Nachhilfestunden?

J.S.: Klavierstunden, deutsche Konversationsstunden, Englischstunden, alles, was ich kriegen konnte. Das Englisch war relativ gut, weil ich ja schon auf dem Realgymnasium damit begonnen hatte. Es fiel mir auch furchtbar leicht. Einem Mann aus der Verwaltung des Schlosses des Grafen Kinski, bei dem der Lord Runciman als erstes Station machte, der für Chamberlain versuchte, das Münchener Abkommen vorzubereiten, habe ich deutsche Konversation unterrichtet. So habe ich mich durchgeschlagen. Die jüdischen Bürger haben uns selbst als Kommunisten geholfen. Manche waren ja auch ausgesprochen links oder sympathisierten sogar mit den Kommunisten. Sie haben uns Wohnungen zur Verfügung gestellt. Bei einer solchen Familie, die tschechisch war, habe ich einen – wenn Ihr wollt – meiner besten Jugendfreunde gefunden, wahrscheinlich der begabteste junge Musiker, den die Tschechoslowakei damals hatte: Gideon Klein. Er ist dann von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden. Die Mutter und die Schwester dieses jungen Pianisten und Komponisten waren Kommunistinnen, und ihre Wohnung – eine gute bürgerliche Wohnung – diente auch dem ZK-Sekretariat der KPD als Sitzungsraum, das damals noch in Prag war.

6. In London (1939–1946)

F.D.: Wann und wie bist Du nach England gekommen, wo hast Du gelebt? Hast Du die ganze Zeit in London gelebt?

J.S.: Ich bin, wie gesagt, am 11. März 1939 als einer der Jugendlieben, die ein Visum von der fortschrittlichen britischen Studentenbewegung erhalten hatten, nach London gekommen. In London mußte ja eine Garantie gegeben werden. Da ich vom »British Youth Peace Assembly« – das war ein Bündnis antifaschistischer Jugend- und Studentenvereinigungen im Kampfe gegen Faschismus und Krieg, eine Art Volksfrontorganisation – eine Visumsgarantie bekommen hatte, konnte ich im März nach London. Ich hatte, für ein Emigrantenschicksal, Glück: ich war die ganze Zeit über, die ganzen 7 1/2 Jahre in London. Anfangs durften wir ja nicht arbeiten, wir bekamen keine Arbeitserlaubnis als Flüchtlinge. Wir erhielten eine Unterstützung durch die jeweiligen Flüchtlingskomitees, und davon konnte man so recht und schlecht, na ja, sehr bescheiden, leben. Die eigentliche Hilfe kam dann von einem Stadtrat der Labour Party, Rodger Wrightson, einem linken Labour-Mann, der für‘s ganze Leben mein Freund gewesen ist und auch der Freund einiger anderer unserer Genossen. Er nahm eine Gruppe von uns in sein Haus in Paddington in London auf, wo wir umsonst wohnen konnten und uns von der kleinen Flüchtlingsunterstützung ernährten. Dort lebte der Kern der damaligen FDJ-Leitung für Großbritannien. Der Vorsitzende der FDJ, ein junger Berliner Arbeiter, Adolf Bochholz, ein Gießer, der später hohe Funktionen in der Metallurgie der DDR innehatte, war auch schon in Prag in der Emigration gewesen. Ich war der zweite Vorsitzende. Dort wurde unsere FDJ-Zeitung gemacht: »Free German Youth«. Das waren die ersten journalistischen Versuche von mir. In dieser kleinen Zeitschrift habe ich sehr viel geschrieben; ich schrieb über alles mögliche, über Politik, Kultur usw. Es war eine hektographierte, aber von einem hervorragenden kommunistischen Graphiker, einem Emigranten, recht hübsch illustrierte kleine Zeitschrift.

F.D.: Hast Du in dieser Zeit gearbeitet?

J.S.: Nein. Die Arbeitserlaubnis bekamen wir erst nach Kriegsausbruch, als die Arbeitskräfte knapp wurden und die britische Regierung gezwungen war, Flüchtlingen eine Arbeitserlaubnis zu geben. Ich habe dann erst einmal einen Kursus an einer polytechnischen Fachschule, könnte man sagen, im Elektroschweißen gemacht und habe dann etwa vier bis fünf Monate weit draußen im Londoner Südwesten, in Greenwich, in einer kleinen Fabrik als Elektroschweißer gearbeitet. Aber dann hatte ich das Glück, in einem der größten Flugzeugmotorenwerke Englands, einem Großbetrieb mit 4.000 Mann, durch die Vermittlung eines kommunistischen Betriebsrats, des Shop-steward-Komitees unterzukommen, wo ich dann so eine Art Kontrolleur von Werkstücken und von Luft- und Wasserdruckmessungen etc. gewesen bin. Eigentlich war ich ja nur ein angelernter Arbeiter. Aber mir kam die Schulbildung zu Hilfe; da mußte man mit Zeichnungen und Sinus und Cosinus umgehen können usw., was ich noch aus der Schule kannte. Sonst hätte ich es nicht machen können.

G.M.: Ist es richtig, daß Du in dem Betrieb auch zum Shop-steward gewählt worden bist und Du darauf auch sehr stolz bist?

J.S.: Ja, das stimmt schon. Naja, stolz, das ist vielleicht übertrieben. Daß ich das Vertrauen der britischen Kollegen gewann, ist schon etwas, worauf man stolz sein kann. Es war aber in diesem Betrieb nicht so schwer, wie es von außen erscheinen mag, weil die Kommunisten dort als die aktivsten Kräfte der Metallarbeitergewerkschaft (Amalgamated Engineering Union) sehr populär waren, besonders natürlich nach dem Überfall auf die Sowjetunion, als ich es politisch nicht mehr so schwer hatte wie in der ersten Zeit.

F.D.: Hast Du es in der ersten Zeit politisch schwer gehabt?

J.S.: Nun, in der ersten Zeit hatten wir es alle recht schwer. In diesen Betrieb bin ich ungefähr Ende 1940/Anfang 1941 gekommen, als es noch sehr kompliziert war, unseren kommunistischen Standpunkt zu begründen, daß das eigentlich kein antifaschistischer Krieg sei, der da geführt wurde.

F.D.: Waren schon die Bomben auf England geworfen?

J.S.: Die Bomben waren schon gefallen. Das war schon fast am Ende des sogenannten »Blitzes«, wie die Briten sagten, also der großen Luftbombardements. Dieser »Blitz« setzte ja unmittelbar nach dem Sieg über Frankreich ein und hielt den ganzen Sommer 1940 und den folgenden Winter über an. Dann begannen aber schon – »Barbarossa« war beschlossene Sache – die Vorbereitungen auf dem Balkan, der Überfall auf Jugoslawien und Griechenland, der Aufmarsch der Hitler-Armeen an der Ostfront, und da wurden die Bombenangriffe seltener. Man mußte umgruppieren und sich auf den Einsatz der Luftwaffe in der Sowjetunion vorbereiten.

G.M.: Noch einmal zu dieser ersten Kriegsphase 1939/40. Wie war die Haltung der KPD? War die Position: Es stehen sich zwei imperialistische Mächtegruppierungen gegenüber, die sich um Interessensphären und letztlich um die Weltherrschaft streiten ? Oder aber: Der Krieg ist durch den faschistischen Aggressor als Angriffskrieg vom Zaun gebrochen worden, und alle Hitler-Gegner müssen zusammenstehen, um diese Aggression abzuwehren?

J.S.: Die Position der KPD war die der Kommunistischen Internationale: Es ist ein imperialistischer Krieg zwischen den Westmächten und dem faschistischen Deutschen Reich. Nun müßte man die ganze Vorgeschichte erläutern, aber das würde zu lang werden. Es war uns natürlich von Anfang an klar (und das wurde auch von der KPD in gemeinsamen Erklärungen mit österreichischen, tschechoslowakischen, später auch mit polnischen Kommunisten ausgedrückt, was jedoch meist in den westlichen Darstellungen dieser Zeit unterschlagen wird), daß dieser Krieg in den schon unterdrückten, okkupierten Ländern Elemente eines antifaschistischen Krieges enthielt, auch in der Massenstimmung der Völker in Westeuropa. Nur waren wir der Meinung, daß die Führungen der westeuropäischen Mächte, also Großbritanniens und Frankreich, keinen antifaschistischen Krieg führten, und wir waren ja durch alle Tatsachen bestätigt. Die Franzosen nannten diesen Krieg bekanntlich den »dröle de guerre«, den komischen Krieg. Viele Engländer sprachen vom »phony war«, dem Scheinkrieg, einer Art Ersatzkrieg, man könnte auch sagen, einem heuchlerischen Krieg. Das heißt, die Menschen wußten schon, warum beispielsweise, als Finnland auf die Vorschläge der Sowjetunion zur Sicherung Leningrads nicht einging, Chamberlain plötzlich im Parlament gewaltige Reden hielt und lange Listen von Kriegsmaterial verlas, das sie alles nach Finnland gesandt hatten. Aber sie hatten nicht einen Finger gerührt, um seinerzeit etwas für Polen zu tun. Das sahen wir alles. Nur, wir konnten die Entwicklung nicht voraussehen. Es war im Frühjahr 1941 allerdings bereits erkennbar, daß sich ein Wandel vollzog, der Aufmarsch gegen die Sowjetunion im Osten vor sich ging und mindestens strategisch, vom geographischen Raum her, vorbereitet wurde.

F.D.: Wichtig ist jetzt diese Vorgeschichte. Das eigentliche Thema können wir nicht umfassend behandeln. Wir kennen heute mehr Akten. Wir wissen mehr über die Vorgeschichte des 23. August 1939. Das muß doch für Euch damals wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen sein. Hat Euch das nicht völlig verunsichert?

J.S.: Das ist ein Irrtum. Das ist nicht so für die, die damals in England gelebt haben. Wir hatten ja im Grunde den besten Beobachtungspunkt, den man sich vorstellen kann. Denn wir konnten in London vom April bis zum August 1939, schon seit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag, genau verfolgen, wie das mit England und Frankreich auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite lag. Wir haben die Parlamentsdebatten im britischen Unterhaus verfolgen können, die massiven, wütenden Anklagen des konservativen Flügels um Churchill, Duff Cooper, Eden gegen die Chamberlain-Regierung, die Anklagen eines Lloyd George gegen die Chamberlain-Regierung, weil sie keinen Pakt mit der Sowjetunion wollte. Wir haben die Warnungen der Sowjetunion verfolgen können, die Warnungen von Stalin auf dem XVIII. Parteitag im März 1939, die späteren Warnungen von Woroschilow, als die Militärverhandlungen hinausgezögert wurden. Wir haben also genau verfolgen können, warum die Sowjetunion zu dem Schluß kommen mußte: Großbritannien und Frankreich wollen kein Bündnis mit uns; und wenn wir uns nicht in einen Krieg gegen eine große kapitalistische Koalition verwickeln lassen wollen, dann müssen wir versuchen, uns herauszuhalten.

F.D.: Du warst also am 23. August 1939 nicht überrascht?

J.S.: Sagen wir so: wir waren überrascht von der offiziellen diplomatischen Verlautbarung eines solchen Paktes. Denn wir waren in gewissem Sinne ja wirklich, wenn Ihr wollt, naive Antifaschisten, so komisch das jetzt klingt. Naiv – ein Ausdruck, der damals in der sowjetischen Diplomatie geprägt wurde – in dem Sinne, daß wir uns nicht vorstellen konnten, daß – trotz des Antikomintern-Pakts – mit dem faschistischen Deutschland ein offizielles Abkommen getroffen werden konnte. Aber kein bürgerliches Land hatte ja die diplomatischen Beziehungen zum deutschen Faschismus abgebrochen. Die USA hatten keine diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion, bis 1933 unter Roosevelt. Aber sie hatten immer diplomatische Beziehungen zu jedem faschistischen Land, jedem militaristischen oder diktatorischen Staat in der Welt. Und die Sowjetunion hatte ja die diplomatischen Beziehungen mit dem faschistischen Deutschland aufrechterhalten und umgekehrt. Wir konnten uns aber einen Pakt schwer vorstellen. Doch das war eigentlich nur die formelle Seite der Sache. Wir begriffen schnell, als das geschehen war und als wir dann auch die klugen, sehr scharf analysierenden, die britische und Weltpresse auswertenden Kommentare von R. Palme Dutt im »Labour Monthly« lasen, daß es keinen anderen Weg für die Sowjetunion gab. Wir brauchten dann nur zurückzugehen, zum Beispiel zu der großen Parlamentsdebatte am 19. Mai 1939 im britischen Unterhaus, zu den Reden Churchills oder zu den Kommentaren Lloyd Georges noch im Juli, um das zu wissen. Es war ganz eindeutig: Die UdSSR hatte keine andere Alternative, und das war für uns sehr schmerzhaft. Es zeigte uns, wie isoliert sie war. Chamberlain und Daladier hatten Hitler im September 1938 in Berchtesgaden, Bad Godesberg und München mehrmals umarmt. Auch wenn die UdSSR dann schreckliche Kompromisse eingeht, sie tut es aus einer Defensivposition heraus. Die UdSSR begreift dann, daß die Churchill-Gruppe inzwischen ganz andere Interessen hat und daß die Idee der kapitalistischen Koalition nicht mehr akut ist. Aber Churchill wurde erst im Mai 1940 Premierminister. Wie konnte die SU in der damaligen Zeit anders handeln? Sie war das einzige sozialistische Land. Die ganze bürgerliche Welt arbeitete gegen sie in der Tradition der Geheimverträge. Wie konnte sie denn damals aus dem Zusammenhang des Krieges ausbrechen? Churchill gibt im Oktober 1939 eine interessante Antwort auf den sowjetischen Einmarsch in die westbjelorussischen und westukrainischen Gebiete, die nach der Curzon-Linie schon 1919 als ethnische Grenze der SU zu Polen anerkannt worden waren. Er sagte: Die UdSSR ist der einzige Staat, der Hitler Paroli bietet. Sie läßt ihn nicht in diese Gebiete einmarschieren, die russisch sind. Das war Churchills Antwort, die wir auch gelesen haben.

F.D.: Ich will noch eine Frage stellen. Es gab in dieser Zeit doch auch individuell furchtbare Schicksale. Mir ist der Fall eines alten Genossen bekannt, der vor 1932 in die Sowjetunion gegangen ist, 1936 in der Prozeßwelle verhaftet wurde und 1939 nach Deutschland geschickt wurde, wo er dann bis 1945 ins KZ gesteckt wurde.

J.S.: Ja, das ist schrecklich. Es gehört, wie das Schicksal anderer guter Genossen, zur Geschichte der Verbrechen in der Stalinzeit. Aber es ist keine Frage des Nichtangriffsvertrages. Wahrscheinlich hat die sowjetische Diplomatie sogar damit gerechnet, daß in der damaligen Situation, als sie auch versuchte, Thälmann herauszuholen, diese Leute nicht verhaftet, nicht unmittelbar eingesperrt würden. Ihre Rechnung war wohl die: jetzt gibt es den Nichtangriffsvertrag, vielleicht werden sie die Personen, die in den letzten Jahren nicht illegal gearbeitet haben, nicht wieder einsperren.

G.F.: Wie sollte Thälmann freikommen?

J.S.: Es gibt keine offizielle Mitteilung. Aber die Sowjets hatten wohl einen Austausch angeboten. Die Nazis haben das abgelehnt. Sie wollten Geiseln haben. Und je bekannter diese waren, um so wertvoller waren sie für sie.

G.M.: In gewissen Büchern steht geschrieben, daß die KPD nach dem August 1939 nur noch »halben« Widerstand geleistet habe.

J.S.: Nun, das ist sehr einfach nachzuprüfen. Ich habe einmal, um mich selber zu vergewissern, Wolfgang Abendroth gefragt (Lisa Abendroth ist dabeigewesen): Du hast doch damals im Zuchthaus Luckau gesessen. Wie war das denn nach dem Nichtangriffspakt? War das wirklich so, daß kaum noch Kommunisten kamen? Und die Antwort war: Nur Kommunisten kamen. Der Widerstand wurde auch weiterhin – es ist nachweisbar anhand der Gestapo-Listen – in der Hauptsache, zu 90 bis 95 Prozent vielleicht, von Kommunisten, von deutschen Kommunisten geleistet. Der Nichtangriffsvertrag änderte überhaupt nichts. Die Zahl der Kommunisten war geringer als in den vorangegangenen Jahren, das war aber bereits 1938 sichtbar, weil eine Masse der Kader verhaftet war, weil der Terror, dann die Erfolge der Nazis sich stärker auswirkten und die illegale Arbeit erst wieder etwa ab 1941/42 zunahm. Aber es war ganz eindeutig: wo es Widerstand gab, waren es wie auch vorher hauptsächlich Kommunisten.

F.D.: Wir sollten jetzt über die englische Emigration sprechen: Die englische Emigration hat zweifellos für die deutsche Nachkriegsgeschichte eine erhebliche Bedeutung. Allerdings denke ich dabei vor allem an das sozialdemokratische Exil, an die Führung der Sozialdemokratie, wenn man nur an einige Namen denkt – Ollenhauer, Richard Löwenthal, Schoettle, Eichler. Dazu kommt die Gewerkschaftsemigration, wichtige Gründungsdokumente der Einheitsgewerkschaften erschienen in London 1944/45. Man kann vermuten, daß wichtige Weichenstellungen für die Entwickung der Arbeiterbewegung nach 1945 in London stattgefunden haben. Welche Erfahrungen hast Du dort gemacht? Wie waren die Beziehungen zur sozialdemokratischen Emigration? Was waren die wichtigsten Themen der Diskussionen und der Auseinandersetzungen?

J.S.: Das ist jetzt insofern ein schwieriges Thema, als ich darüber nicht oder kaum aus persönlichen Erinnerungen berichten kann. Denn ich war vollberuflich tätig in der Kriegsindustrie – ich arbeitete oft neun, zehn Stunden am Tag. Meine ganze politische Arbeit und Weiterbildung war auf die Abende beschränkt, obwohl ich oft unterwegs war. Man hat ja in der Jugend auch sehr viel physische Kraft. An unmittelbaren Verhandlungen war ich nicht beteiligt. Aber ich habe über sie erfahren aus den Beratungen unserer Emigrationsgruppe. Ich gehörte dann auch seit 1941 der Leitung der deutschen kommunistischen Emigrationsgruppe in Großbritannien an.

Die Führung des sozialdemokratischen Emigrationsvorstandes weigerte sich in London, mit uns offizielle Beziehungen aufzunehmen. Es gab dann – ich glaube 1944 – ein Gespräch, es gab immer wieder den Versuch unserer Leitung, mit dem sozialdemokratischen Vorstand ins Gespräch zu kommen. Es gab unterschiedliche Haltungen der einzelnen sozialdemokratischen Gruppen zu verschiedenen Zeiten. Ich will ein ganz interessantes Beispiel erwähnen. Als die Neu-Beginnen-Gruppe noch relativ selbständig arbeitete, da beteiligte sich – die Gespräche waren angeregt worden vom Freien Deutschen Kulturbund, insbesondere von den dort tätigen Kommunisten, wie Hans Fladung – diese Gruppe an einer großen Veranstaltung der antifaschistischen deutschen Emigration in London zum 25. Jahrestag der Oktoberrevolution und zur Solidarität mit der Sowjetunion. Es war eine große, gut besuchte Solidaritätsveranstaltung. Über 700 Menschen waren versammelt, und zu den Rednern gehörte eben nicht nur der Kommunist Hans Fladung9, sondern auch Richard Löwenthal für die Gruppe Neu Beginnen, und den Aufruf unterzeichnet hatten neben Löwenthal auch Erwin Schoettle und Vertreter der SAP in London. Sie hatten den Aufruf gemeinsam mit uns und mit linksbürgerlichen Antifaschisten unterzeichnet. Löwenthal hat damals eine begeisterte Rede für die Sowjetunion gehalten, für die Rolle, die sie im Kriege spielte, darüber, daß wir das Freisein von Luftangriffen in London den sowjetischen Armeen verdankten. Später war es dann so, daß Teile der sozialdemokratischen Emigranten doch, trotz des Vetos und der Barrieren der offiziellen sozialdemokratischen Führung, mit uns kooperierten. Sehr aktive Sozialdemokraten arbeiteten mit uns in der Freien Deutschen Bewegung – Adele Schreiber, eine frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Karl Rawitzki, ein bekannter Sozialdemokrat, und andere. Einen Durchbruch in den Beziehungen zur SPD gab es allerdings nicht. Das erschwerte sich noch, weil sie ja auch eine Position gegen Teheran und Jalta bezogen, die wir natürlich nicht teilten. Es war eine Position von überholten deutschnationalistischen Standpunkten, die auch gegenüber den westlichen Alliierten überhaupt nicht aufrecht zu erhalten waren und die bei der Gruppe um Vogel, Ollenhauer und Heine eine deutliche antisowjetische Spitze bekamen. Es war der Versuch, deutsche nationale Interessen, ich würde sagen: vorzuschieben, um den Konsequenzen der Gemeinsamkeit mit Kommunisten und der Sowjetunion zu entgehen. Es war ja leicht, von der Emigration her gegen die Oder-Neiße-Grenze zu polemisieren und gegen das, was sich damals abzuzeichnen begann, obwohl man genau wußte, daß eine Parallelität zum ersten Weltkrieg völlig unhistorisch und unmöglich war, daß ein ganz anderer Krieg, ein Vernichtungskrieg stattgefunden hatte. Man wußte, welche Opfer die Sowjetunion und andere slawische Völker in diesem Krieg gebracht hatten; man wußte, daß die Vorstellung, man könne in Kategorien operieren wie nach dem ersten Weltkrieg, völlig unhaltbar war.
Noch eine Bemerkung zu den Gewerkschaftsdiskussionen in der Emigration. Erwin Schoettle hat damals einmal ein Papier unterbreitet, das heute noch von größtem Interesse wäre, worin er über die Stellung der Gewerkschaften in einem späteren, sozialistischen Deutschland nachdachte und im Grunde genommen die Position vertrat, die in der DDR verwirklicht wurde: nämlich, daß Gewerkschaften in einem sozialistischen Deutschland doch nicht gegen ein sozialistisches Wirtschaftssystem arbeiten könnten, sondern für dieses Wirtschaftssystem, für die neuen Eigentumsverhältnisse und für die Erhöhung der Produktion und der Produktivität eintreten müßten. Daher würde die Interessenvertretung ganz andere Aspekte gewinnen als in einem kapitalistischen Land. Das hat er leider später wieder vergessen.

F.D.: Wann habt Ihr angefangen, Euch mit der Vorstellung vertraut zu machen, daß Ihr nach Deutschland, in ein befreites Deutschland zurückkehrt? Ab wann habt Ihr überhaupt darüber nachgedacht?

J.S.: Wir haben eigentlich nie aufgehört, darüber nachzudenken. Aber das war natürlich zunächst abstrakt, es lag in einer weiteren Perspektive, das ist völlig klar. Konkreter wurde diese Frage mit den entscheidenden Kriegswendepunkten. Immer näher rückte sie, wenn man einmal Stalingrad als Wende nimmt, seit der Zerschlagung der deutschen Sommeroffensive 1943 und dem Übergang der sowjetischen Armeen über den Dnjepr im September 1943. Da rückte die Niederlage der faschistischen Armeen konkret in unser Bewußtsein. Es begannen dann ja auch die entscheidenden alliierten Verhandlungen in Teheran, dann in Jalta. Da begannen auch unsere konkreteren Vorstellungen und Diskussionen darüber: Wie werden wir agieren, unter welchen Bedingungen werden wir in Deutschland zu arbeiten haben?

G.F.: ...nicht so schnell. Noch einmal ein bißchen zurück. Bitte, mich würde zunächst noch interessieren: Was hast Du denn gedacht, als 1941 die Deutschen angegriffen haben und scheinbar zunächst mal unaufhaltsam vorrückten bis vor Moskau – und Du saßest in der Emigration. Was denkst Du zu der Situation?

J.S.: Ja, das war wahrscheinlich das schlimmste halbe Jahr, und dann noch einmal die Zeit bis zum Herbst 1942, für alle, wobei man vielleicht – ich weiß nicht, wie es anderen ergangen ist – die psychische Situation als Jugendlicher berücksichtigen muß. Man hatte einen unerhörten Glauben an die Sowjetunion. Hinzu kamen natürlich auch die rein geographischen Dimensionen, die historischen Erfahrungen Napoleons usw. Aber diesen Rückzug hatten wir – auch aufgrund der Reden der sowjetischen Führer – nicht für möglich gehalten. Aber aufgegeben haben wir die Hoffnung nicht. Und man sah ja bald: ein Blitzkrieg war es nicht mehr. Wir sahen, daß es ein ganz anderer Krieg war, als die Faschisten ihn bisher geführt hatten. Das war das eine. Dann sahen wir, der Widerstand zieht sich immer weiter bis in den Winter hinein, und dann kam im November und Dezember auch schon der erste Rückschlag, den die faschistischen Armeen überhaupt erlebt hatten: vor Moskau. Daß der Krieg ein ganz anderer war, erlebten wir also im Grunde schon nach einigen Monaten, und das bestärkte unsere Überzeugung: Es ist ein furchtbarer Rückschlag gegen eine besser bewaffnete, erfahrenere, vom Angriff her strategisch im Vorteil befindliche Armee. Aber es ist kein Blitzkrieg mehr, und die Regenerationsfähigkeit der überfallenen Sowjetunion wird erst noch ins Spiel kommen. Jeder Tag, an dem man las, sie gehen weiter zurück, brachte aber immer neue furchtbare Erfahrungen, die man nur durch historische Überzeugung, wie immer man es nennen will, überwinden konnte.

G.F.: Bist Du denn auch optimistisch geblieben?

J.S.: Ja, im Grunde nur dadurch, daß ich mir sagte, das sind Rückschläge, die durch das Überraschungsmoment, durch die gewaltige materielle Überlegenheit usw. da sind, aber der sowjetische Widerstand ist ein ganz anderer als der Frankreichs, und dieses Riesenland wird nicht besiegt werden können. Wir lasen die übersetzten Artikel aus der sowjetischen Presse über die Verlagerung der Kriegsindustrie hinter den Ural, über die allgemeine Mobilisierung, über den wachsenden Widerstand von Partisanen gegen die Okkupation. Um dieses Land zu bezwingen, so unser Fazit, werden all die momentanen Vorteile der Hitlerarmee nicht ausreichen.

G.F.: Du meinst: Die Genossen in Deutschland, welche solche Informationsmöglichkeiten nicht hatten, waren schlimmer dran.

J.S.: Ach, viel schlimmer, so war es ja auch am 23. August in den Gefängnissen und Zuchthäusern oder im Lande selbst viel schlimmer. Da waren wir in einer kinderleichten Situation im Vergleich zu diesen Genossinnen und Genossen. Selbstverständlich haben wir, wenn ich mich an die Diskussionen mit meinen britischen Kollegen im Betrieb erinnere, schon vorher gesagt, daß das von den Erfolgsaussichten her jetzt ein anderer Krieg ist. Sie haben mir ja am Anfang nicht geglaubt, daß das alles ganz anders wird jetzt. Auch den britischen Kommunisten haben sie nicht geglaubt, als sie sahen, wie das in den ersten Monaten lief. Aber je länger es dauerte, um so mehr verstanden sie: Ja, das ist tatsächlich ein ganz anderer Krieg, da kommen die Nazis eben mit den Blitzkriegsmethoden nicht weiter. Das war bereits erkennbar bei Moskau im November/Dezember 1941, und da war klar: wenn die jetzt nicht mehr durchkommen, dann wird es ein langer Krieg. Die Wende haben wir da noch nicht gespürt, die haben wir erst bei Stalingrad gesehen. Insofern war die Grundtendenz immer die eine: es wird ihnen nicht gelingen. Aber es war ein Hin und Her, je nach den militärischen Nachrichten. Ich muß übrigens sagen, uns hat eines sehr geholfen (das klingt jetzt sehr eigenartig, mancher wird vielleicht ungern daran erinnert werden): Als einer der bedeutendsten, durch und durch prosowjetischen Militärkommentatoren in Großbritannien arbeitete damals ein in der deutschen Sozialdemokratie populär gewordener Publizist. In England nannte er sich Max Werner, aber in Wirklichkeit war es der in der sozialdemokratischen Presse der Weimarer Republik bekannt gewordene Alexander Schifrin. Wir lasen die Analysen dieses Militärkommentators regelmäßig in der Zeitung der Genossenschaften »Reynolds‘ News« mit großer Begeisterung. Schifrin war ursprünglich ein menschewistischer Emigrant aus Rußland gewesen nach dem ersten Weltkrieg. Aber er schrieb eben dann, als Max Werner, vielleicht aus alter Liebe zu Rußland, ganz ausgezeichnete Berichte und die besten Militärkommentare zum Verlauf des Krieges an der sowjetischen Front.

G.F.: Wann hast Du denn nun geheiratet?

J.S.: Geheiratet habe ich im Sommer 1942. Ihr seht also, der individuelle Optimismus war da keineswegs getilgt. Meine Frau habe ich in London kennengelernt. Sie war wie ich ein deutscher Flüchtling. Sie mußte als jüdisches Mädchen versuchen, 1939 aus Köln herauszukommen, und hat sich zunächst als Haushaltskraft verdingt, um überhaupt emigrieren zu können nach England. Das war eine der ganz wenigen Möglichkeiten damals, und so ist sie fast um dieselbe Zeit wie ich, im Frühjahr 1939, angekommen. Sie war in Bournemouth, einem Seebad, bei einer sehr vornehmen konservativen Familie im Haushalt, aber hatte dort Anschluß an die Gruppe der Freien Deutschen Jugend gefunden, die durch kommunistische Emigranten initiiert worden war. Und als sie dann einmal auf eine Konferenz nach London delegiert wurde, auf der ich auch war, haben wir uns in der FDJ kennengelernt.

G.F.: Kannst Du etwas über andere Emigranten sagen, sind Dir da Leute in Erinnerung?

J.S.: Ja, natürlich, unter den deutschen Emigranten ist es eine Reihe von älteren Genossen. Man muß immer bedenken, ich kam mit 24 Jahren nach England und bin mit 31 aus der Emigration zurückgekehrt. Das sind ja noch in hohem Grade Lernjahre. Ich habe von einer Reihe der älteren Genossen das meiste gelernt. Obwohl ich selbst viele Schulungsabende machen mußte und sogar unsere kleine Propagandakommission (mit solchen Mitgliedern wie Alfred Meusel und Jürgen Kuczynski) geleitet habe, aber rein organisatorisch, habe ich am meisten gelernt von Genossen wie Wilhelm Koenen: ein sehr erfahrener, sehr kluger, sehr elastischer und menschlich sehr warmer Genosse; von Genossen wie Kurt Hager, Grete Wittkowski, Heinz H. Schmidt, Hans Kahle.

Gelernt habe ich natürlich auch, weil ich mich sehr für Theorie und Geschichte interessierte, gerade von Alfred Meusel. Man muß sich eine normale Jugendgruppe vorstellen, in der ein Historiker vom Range Meusels etwa ein Dutzend Vorträge über den Deutschen Bauernkrieg hält. Jürgen Kuczynski hielt Vorträge über die aktuellen Wirtschaftsprobleme. Damals schrieb er ein Buch: »Die Ökonomie der Barbarei« (»The Economics of Barbarism. Hitlers New Economic Order in Europe«) über die faschistische deutsche Ökonomie mit den Massen der fremden Sklavenarbeiter usw. Das waren die Möglichkeiten, die wir hatten. Ganz abgesehen von den großen Möglichkeiten, die dadurch bestanden, daß damals ein ungeheurer Aufschwung des Marxismus in den englischsprachigen Publikationen vor sich ging. Das war etwa ein Jahr nach der Veröffentlichung von Bernal‘s: »Die soziale Funktion der Wissenschaft«, ein Buch des weltberühmten Naturwissenschaftlers, das einen ganz neuen Wissenschaftszweig begründet hat10. So hatten wir große Chancen zum Lernen. Obwohl wir Fabrikarbeiter waren, nutzten wir jede Minute, um uns selbst weiterzubilden. Ich habe in der Emigration jede Minute genutzt, um Bücher zu lesen, auch die Mittagspausen, wo die britischen Kollegen vielleicht mit etwas Spott auf mich gesehen haben, wie ich ausgerechnet in der Mittagspause immer dicke Wälzer vor mir hatte oder russische Vokabeln aus einem englischen Lehrbuch lernte. Aber das hat sie nicht weiter gestört. Sie kannten mich inzwischen schon. Sie kamen mit jedem Schreiben an irgendein Amt zu mir, da sie wußten, ich half ihnen auch außerhalb der unmittelbaren gewerkschaftlichen Vertretung.

G.F.: Du beziehst Dich in Gesprächen öfters auf Beispiele aus der Geschichte der Naturwissenschaften. Hast Du einen besonderen Zugang zur Naturwissenschaft?

J.S.: Ja, das war eine Leidenschaft in den englischen Emigrationsjahren. Damals stießen zahlreiche Naturwissenschaftler zum Marxismus. Gut, es begann bei mir schon in Prag, wenn wir uns über Philosophie unterhielten. Ich verfolgte seit damals die philosophisch-theoretischen Abhandlungen und Arbeiten über Naturwissenschaft. Ich las sehr bald das erste Buch, das in Westeuropa von Marcel Prenant über »Biologie und Marxismus«11 und solche Problemfelder veröffentlicht wurde. Da habe ich eigentlich alles in dieser Richtung konsumiert. Und es hat mir auch später sehr geholfen. Die Philosophie hat mich immer interessiert, und ich habe ja auch einige Zeit auf diesem Gebiet gearbeitet.

G.F.: Hat Dich nun Deine Beschäftigung mit der Geschichte der Naturwissenschaften als Marxisten beeinflußt?

J.S.: Mich als Marxisten? Ich würde sagen, nein, umgekehrt. Der Zugang kam von der marxistischen Philosophie her zu der, sagen wir, Anwendung der dialektischen Theorie und Methode auf naturwissenschaftliche Probleme. Was die eigenen Kenntnisse betrifft, so mußte ich mich auf reines Schulwissen und auf autodidaktische Interessen, die ich hatte, stützen. Es war ein mehr theoretisch-philosophischer Zugang. Ich hatte nur elementare Kenntnisse über Physik und Chemie – allenfalls Evolutionstheorie, die Evolutionsgeschichte in der Biologie.

G.F.: Betreibst Du das in der Gegenwart noch weiter? Die Diskussion fängt ja wieder an.

J.S.: Kaum, leider kaum. Aber ich kann Euch allen ein Exemplar eines kleinen Erinnerungsaufsatzes geben, den ich neulich für die Reihe »Dialektik« geschrieben habe: »Bedeutende Naturwissenschaftler als marxistische Philosophen«. Hier gehe ich auf J.D. Bemal, J.B.S. Haldane, P.M.S. Blackett, M. Prenant und andere Naturwissenschaftler ein, die in jenen Jahren gewirkt haben.

G.M.: Noch eine abschließende Frage zu Sklavenarbeit und Menschenvernichtung im Rahmen der »Economics of barbarism«. Was ist Euch in London über dieses umfassende System der Selektion, Deportation und Vernichtung bekannt geworden? Viele sagen, es sei gar nicht bekannt gewesen.

J.S.: Das System der Zwangsarbeit war bekannt. Anders war es mit der Existenz der Vernichtungslager. Zu sagen, es ist gar nicht bekannt geworden, ist falsch. Die ersten Nachrichten kamen etwa Ende 1942/Anfang 1943 – das genaue Datum weiß ich jetzt nicht. Diese Deportationen aus den europäischen Ländern, zunächst vor allen Dingen in Polen, waren verbunden mit Massenerschießungen, Massenterror. Darüber wurde berichtet. Und Nachrichten kamen auch aus der sowjetischen Presse während des Krieges, bei Rückeroberungen sowjetischer Gebiete, über das, was da passiert war. Massiv – als System der Todes- und Vernichtungslager, also in den wahren Ausmaßen – ist uns die Menschenvernichtung wahrscheinlich doch erst bekannt geworden nach den ersten Eroberungen in Ostpolen (Treblinka, Majdanek). Vielleicht auch schon vorher, da müßte ich mich selber noch einmal vergewissern. Als die Rote Armee vorrückte, da war es dann völlig klar, und da wußte man eigentlich auch über das gesamte Vernichtungssystem schon fast alles.

Ich will es illustrieren an einer ganz persönlichen Erfahrung: Ich mußte von vorneherein annehmen, daß Mutter und Bruder deportiert waren und ich sie nicht mehr wiedersehen würde. Bei meiner Frau war es ja so: der Vater war Jude, die Mutter aber nicht. Es war eine sogenannte Mischehe. Da rechneten wir eigentlich auch nicht mehr damit, daß sie in Köln noch überlebt haben konnten. Dann war es wie ein Wunder, das wir uns nie vorgestellt hätten, als wir die ersten Rote Kreuz-Meldungen von der Schweiz her hörten und wir die Eltern meiner Frau auf den Überlebendenlisten in Köln fanden. Köln war ja nun schon relativ früh, im April 1945, von den Amerikanern besetzt worden. Aber da waren wir völlig überrascht. Wir hätten es nie für möglich gehalten. Vorher schon war uns also klar, wenn einer überlebt haben sollte, ist das wie ein Wunder. Insofern muß es uns 1944 schon ganz deutlich gewesen sein: es ist ein System der restlosen Ausrottung.

7. Nachkriegsentscheidungen in den Westzonen

G.M.: Du bist relativ spät – erst Ende 1946 – zurückgekommen. Warum?

J.S.: Nun, wenn ich es einmal an einem sehr viel größeren Beispiel britischer Politik illustrieren darf. Wir sagten immer im Scherz in den Emigrationsjahren: Die Inder – ihre Politiker –, die dürfen alles, was sie wollen, über die indische Revolution hier in London sagen. Aber nach Indien zurück dürfen sie nicht. Und so war es natürlich auch. Ebenso war es dann auch mit uns deutschen kommunistischen Emigranten, die in die Westzonen zurückwollten. Obwohl man schon, wenn ich mich recht erinnere, zunächst zur Wennigsener Konferenz im Oktober 1945 drei oder vier der führenden Sozialdemokraten nach Hannover gelassen hatte und dann auch im Februar die Führer des sozialdemokratischen Parteivorstands zurück durften, besitze ich heute noch ein Schreiben des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs im Horne Office (Innenministerium) auf eine Anfrage des kommunistischen Unterhausabgeordneten Phil Piratin aus dem Londoner Eastend – dort war er gewählt worden –, der in meinem Falle angefragt hatte, warum ich denn nicht zurück dürfe. Woraufhin – übrigens bei Hans Fladung war es genauso – der Staatssekretär geantwortet hatte, man könne doch bei den furchtbaren Lebens- und Wohnverhältnissen die Verantwortung nicht übernehmen und mich zurücklassen. Dabei hatte ich in der Begründung meines Antrages angeführt, da die Eltern meiner Frau überlebt hätten, könnten wir nach Köln zurück, hätten also auch Unterkunft und würden uns schon über Wasser halten können. Aber die Antwort war: man könne die Verantwortung nicht übernehmen. Auf den Druck der Bergarbeitergewerkschaft hin war es allerdings gelungen, zwei kommunistische Gewerkschafter – Bergarbeiter – Karl Becker, ein Mitglied des Vorstandes der IG Bergbau in den Anfängen nach 1945 und verantwortlich für die Bildungsarbeit, Reichstagsabgeordneter der KPD, und Alfred Zeidler, einen sehr tüchtigen Organisationspolitiker, schon vor Hans Fladung und mir in die britische Zone zurückzubekommen. Aber wir, meine Frau, unsere kleine, dreieinhalbjährige Tochter und ich, sind dann erst Ende Oktober 1946 zurückgekommen.

G.M.: Hast Du dann gleich in Köln mit der Parteiarbeit begonnen?

J.S.: Ich bin in Köln sofort – das war ja der Grund meiner Rückkehr – in der Partei aktiv geworden. Das einzige, woran ich interessiert war, war, am Bau eines antifaschistischen Deutschlands mitzuarbeiten. Die Bezirksleitung berief mich zum stellvertretenden Chefredakteur der Kölner »Volksstimme«.

G.M.: Wir haben vorhin über das Problem gesprochen, ab wann ihr damit gerechnet habt, wieder zurückzukehren und dann ein antifaschistisches Deutschland aufzubauen. Gibt es für Dich irgendwelche ersten Eindrücke der Rückkehr nach Deutschland, nach Köln, die für Dich sehr tief waren? Warst Du sehr berührt, warst Du schockiert? Gibt es solche Eindrücke, die noch lebendig sind?

J.S.: Ja, dabei muß man eigentlich folgendes beachten: Ende Oktober 1946, das bedeutete, daß ich zurückkam, als viele Weichen bereits gestellt waren, als vieles – noch nicht endgültig, es war noch im Fluß – schon in restaurativem Sinne lief, im Sinne des Bruchs der ursprünglichen Einheitsaktionen und selbst der organisatorischen Einheitsprozesse. Als man zurückkam, erlebte man das furchtbare Elend, den Hunger, dann diesen schrecklichen Winter, der ja gerade 1946/47 kam. Die zerbombten Städte, schon als wir in Osnabrück ankamen, das ist unvorstellbar, weil es ja auch nicht vergleichbar war mit dem, was wir in London in den einzelnen Stadtteilen kannten. Es war ein ganz anderes Ausmaß. Das Elend der Menschen, das war schrecklich deprimierend, und man sagte sich auch, wie schwer wird es werden, das aufzubauen. Zugleich allerdings hatten wir – vielleicht war das eine Illusion – das Gefühl: jetzt ist es ja fast unmöglich für die Menschen, nicht zu lernen. Man hatte das Empfinden: diese Katastrophe, die der Faschismus über Deutschland gebracht hat, muß eine Möglichkeit bieten in dem Sinne, daß wir die Menschen zu radikalem Umdenken bewegen können. Man unterschätzte also im Grunde genommen die Prozesse, die mit der Verdrängung zusammenhingen, mit der Aufarbeitung der eigenen Verantwortung.

Wir als Kommunisten sahen natürlich die Masse der Arbeiter, die mitgegangen oder einfach passiv waren. Wir sahen die Masse derer, die in hohem Maße die Opfer dieses Regimes und dieses Krieges waren, und nicht diejenigen, die Nutznießer waren oder politische und militärische Verantwortung gehabt hatten. Daher dachte man: das muß einen ungeheuren Umdenkungsprozeß bewirken. Man erkannte nicht, daß sich die Leute zunächst mit sich selbst beschäftigten, daß es ja eine unerhörte Kraft erforderte, einfach das Leben zu retten, etwas zu essen zu bekommen, die Kohle für den Winter zu organisieren, eine Behausung zu erhalten usw.

G.M.: Was gab es an produktiven politischen Impulsen?

J.S.: Es gab sehr viele, und das beweist ja auch die damalige und spätere Entwicklung in der DDR. Eine solche Katastrophe barg die Chance eines radikalen Umbruchs in sich. Das ist meine feste Überzeugung. Es hing wirklich von den subjektiven Kräften der Arbeiterbewegung und den antifaschistischen bürgerlichen Kräften ab, wie das zu bewirken war.

F.D.: Nun sind wir ja doch in der Biographie eines Revolutionärs, der noch ziemlich jung ist. Du warst jetzt Anfang 30. Du kommst erst Ende 1946. Man könnte sagen: von 1945 bis 1947 ist also eine relativ kurze Zeit, die mit großen Hoffnungen auf eine demokratische Umwälzung besetzt ist. Ich will einen kleinen Bogen schlagen: Helga Grebing hat im vorigen Jahr auf der Linzer Konferenz in ihrem Referat sich auch auf Briefe von Sozialdemokraten aus dieser Zeit gestützt. In diesen Briefen kommt diese Hoffnung, von der Du gesprochen hast, sehr stark zum Ausdruck, auch von denen, die aus der Emigration kommen. In diesen Briefen kommt auch – allerdings sehr früh – eine gewisse Bereitschaft zu Ausdruck, mit Kommunisten zusammenzuarbeiten, jetzt einen wirklichen Neubeginn der Arbeiterbewegung zu machen. Nun wissen wir von diesen Sozialdemokraten, wenn sie später führende Positionen in der SPD, also der Godesbergschen Sozialdemokratie übernommen haben, daß sie einen großen psychologischen Druck erlebt haben, zum Teil auch zynisch reagiert haben; zynisch insofern, als sie dann den Anpassungsprozeß der SPD in den 50er Jahren nach rechts betrieben und gleichzeitig sich selbst gerechtfertigt haben, indem sie wieder den Kommunisten die Schuld gegeben haben; den Kommunisten und der Entwicklung in der Sowjetunion, der SBZ und der DDR. Ab wann – Du sagst, 1946 waren schon einige Weichen gestellt – wird Euch denn politisch klar, daß jetzt mit dem Übergang in die Kalte Kriegs-Ära wieder eine neue Konfrontationssituation sowohl weltpolitisch als natürlich auch innenpolitisch einsetzt, die für die Kommunisten wieder ganz schwierig wird?

J.S.: Das Schwierige ist ja, daß man in einem aktuellen politischen Prozeß – das wissen wir alle auch aus der Gegenwart – schwer die wirklich historischen Wandlungen bemerkt, und sie sind übrigens ja meistens auch – nicht immer – kaum mit einem ganz eng zu datierenden Einschnitt verbunden. Die Brüche sind meist fließender Natur, die eine ganze Weile noch Möglichkeiten offenlassen in verschiedenen Richtungen. Insofern würde ich sagen: Wir haben natürlich alle gemerkt, daß nach der Truman-Doktrin im März 1947 die Möglichkeiten enger wurden. Ich habe mich zu dieser Zeit viel mit Außenpolitik beschäftigt, alle meine Verbindungen genutzt und alles gelesen, was ich an internationaler Literatur bekommen konnte aus England, Amerika usw. Davon abgesehen, daß wir ja alle offiziellen sowjetischen Dokumente lasen, die Zeitschriften, die bereits in der sowjetischen Besatzungszone erschienen und die oft sehr umfangreiche analytische Aufsätze enthielten. Ich habe das alles sehr sorgfältig verfolgt, und man konnte natürlich seit der Truman-Doktrin die Entwicklungen sich abzeichnen sehen. Die bürgerliche Geschichtsschreibung versucht gerade jetzt wieder, den Februar 1948 in Prag für die Verschärfung der internationalen Spannung verantwortlich zu machen. Die guten Leute verschweigen, daß es lange vorher den Hinauswurf der französischen Kommunisten aus der Regierung in Paris gegeben hat, daß es also immer Aktion und Reaktion war, wobei die Initiative zur Konfrontation niemals von der Sowjetunion oder von den Kommunisten in den einzelnen Ländern ausgegangen ist.

Wir haben diesen Prozeß in der Deutschlandpolitik sehr bald zu spüren bekommen. Es dauerte ja nicht lange, daß, selbst mit den fadenscheinigsten Gründen, kommunistische Zeitungen verboten wurden. Ich habe in der Kölner »Volksstimme« oft die Methode angewandt manchmal wurden die Artikel auch nachgedruckt –, daß ich mit Hilfe von Labour-Zeitschriften, des »New Statesman« oder der »Tribune«, versucht habe, die reaktionäre Politik der westlichen Besatzungsmächte sozusagen aus britischem Munde zu kritisieren. Ich hoffte, wir kommen dann um ein Verbot herum. Das war aber ein Irrtum. Wir sind wegen der Publikation solcher Zitate verboten worden: von der Militärregierung, die im Auftrage einer Labour-Regierung handelte, aufgrund von Zitaten aus der Labour-Presse! Das merkte man, das war uns ja sichtbar, auch in der Abberufung fortschrittlicher, mit der Labour Party sympathisierender oder sonst aufrichtiger antifaschistischer Besatzungsoffiziere. Das merkten wir in jeder Richtung, und 1948 wurden ja dann die Kommunisten auch aus den Länderregierungen entfernt usw.

Wichtiger ist aber die Tatsache, daß wir später merkten – und das war ein Prozeß, der noch nicht ganz abgeschlossen war, als ich zurückkam, aber doch schon weit gediehen war –, daß die sozialdemokratische Führung eine Kooperation mit uns ablehnte, daß schon wieder, insbesondere nach der Vereinigung der beiden Parteien in der sowjetischen Zone im April 1946, sehr feindselige Töne anklangen. Wir druckten in Köln damals die drei Zeitungen der großen Parteien, also CDU, SPD und KPD in der einen erhaltenen Druckerei von Dumont Schaumberg. Die sozialdemokratischen Redakteure – wir erschienen an verschiedenen Tagen, alle Zeitungen erschienen zweimal, später dreimal wöchentlich – wichen uns ja weitgehend aus.

Willi Eichler und Heinz Kühn waren damals die Redakteure der »Rheinischen Zeitung«. Ismar Heilborn und ich waren die leitenden Redakteure der »Volksstimme«. Im Grunde wichen sie uns immer aus, und man traf sich dann nur selten und zufällig. Damals gab es noch einige fortschrittliche Leute an den Rundfunkanstalten, die von den Briten betrieben wurden, NDR, WDR. Im WDR arbeitete z. B. Karl Georg Egel, der später ein bekannter Filmautor in der DDR wurde. Er machte einen »Runden Tisch«, an dem Wilhelm Elfes für die CDU (bekanntlich ein sehr guter, fortschrittlicher Mann vom christlich-sozialen Flügel, der später von seinen Freunden wütend bekämpft wurde, vom Adenauer-Flügel, weil er für Verhandlungen und Verständigung mit der DDR war), Willi Eichler für die SPD, ich für unsere Partei teilnahmen. Wir trafen uns zu solchen Tischgesprächen. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit der ersten britischen Studentendelegation, die mit Vertretern der SPD und der KPD zusammenkommen wollte; von der SPD kam Willi Eichler, von unserer Partei ich. Meistens waren es nur noch rein polemische Aussprachen. Die eigentliche Periode der Zusammenarbeit – bis auf die parlamentarische Ebene und kommunalpolitisch-parlamentarische Ebene – war fast schon vorbei.

F.D.: Es gibt über die Entwicklung der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Bewegung nach 1945 weniger Literatur als über die Zeit vor 1933. Du kennst das Problem. Ich will mal einen sehr allgemeinen Zugang wählen, der Dich vielleicht auch provozieren soll. Man könnte ja sagen, vor 1933 haben wir – 1928/29-die »ultralinke Wende«. Gibt es vielleicht nach 1945 einen analogen Vorgang? Die KPD betreibt zunächst bis 1947/48 eine Volksfrontpolitik im weitesten Sinne. Einige sagen, die KPD stand in einigen Positionen scheinbar rechts von der SPD – Schumacher, Sozialismus als Tagesaufgabe z. B. Dann erfolgt 1948 – das sollte Dich jetzt ein bißchen provozieren – eine »ultralinke Wende«. Jetzt, ab 1948, kommt es in der Politik der KPD – soweit ich die Quellen und Dokumente kenne, zu einem fast verzweifelten Kampf, um die Entwicklung nach rechts, die Restauration zu verhindern, um die deutsche Spaltung zu verhindern. Aus heutiger Sicht erscheint dies fast als ein illusionärer Kampf, wenn wir die großen weltpolitischen Entwicklungen berücksichtigen. Gleichzeitig gibt es wieder die harten politischen Angriffe gegen die SPD, gegen die Gewerkschaftsbewegung usw. Was ist der Zusammenhang dieser strategischen Umorientierung? Ist das kein Bruch? Diese strategische Umorientierung ist dann gewiß auch in vielen Punkten sehr schmerzhaft, weil sie einhergeht mit dem wachsenden Bedeutungsverlust der KPD und dann übergeht in die unmittelbare Repressionsphase dann Anfang der 50er Jahre bis zum Verbot.

J.S.: Ich sehe es, offen gestanden, anders. Ich sehe es vor allem deshalb anders, weil in gewisser Weise, wenn man den Gesamtprozeß sich vor Augen führt, unsere Geduld bewunderungswürdiger war als das dann folgende Umsichgreifen gewisser falscher linker Positionen. Denn man darf ja nicht vergessen, wann die massive antikommunistische Welle in der sozialdemokratischen Politik einsetzt. Man muß sehen, daß Politik nie von diesen Wechselwirkungsprozessen zu trennen ist. Es ist unvermeidlich, daß Politik sich nicht freihalten kann von dieser Natur des Echos, des: So wie man in den Wald hineinruft, so hallt es auch heraus. Da müßten die politisch agierenden Kräfte Übermenschen sein. Das sind sie nicht. Da gibt es allenfalls einzelne Theoretiker, die aber meistens außerhalb der Massenbewegung stehen, die solche Positionen einnehmen. In der Hinsicht würde ich sagen: Natürlich reagierten wir von Anfang an auf einheitsfeindliche Strömungen, die ja leider sehr bald dominierend wurden in der Sozialdemokratie. Aber wir reagierten noch relativ geduldig. Auch in den polemischen Formen reagierten wir immer unter dem Gesichtspunkt, noch Möglichkeiten zur Gemeinsamkeit zu suchen – wenn das natürlich auch schon fast aussichtslos war. In den Parlamenten orientierten wir uns noch sehr stark auf diese Kooperation, machten in allen Landtagen – das ist genau zu untersuchen – große Kompromisse, verzichten auf viele Forderungen, nur um sozialdemokratische Vorschläge – ob das die Sozialisierungsproblematik oder Verfassungskonzeptionen sind – mit durchzubringen. Wir versuchten, jede Möglichkeit wahrzunehmen, auch nachdem die weltpolitischen Prozesse (Truman-Doktrin, die Anti-Potsdam-Fronde in den USA, in den Westzonen usw.) längst massiv gegen die Kommunisten agieren. Wir versuchten, solche Schritte zu gehen, die zwar schon unvermeidlich polemisch sind, die kritisch sind gegenüber diesen Positionen, aber dies mehr in dem Sinne einer Warnung vor den restaurativen Tendenzen und vor den Rückschritten in den Westzonen, die unvermeidlich einsetzen müssen, wenn wir nicht die antifaschistischen Einheitsprozesse voranbringen können.

F.D.: Ich möchte noch eine Frage hinzufügen. Sie scheint mir auch für die heutigen Diskussionen in der Friedensbewegung von einiger Bedeutung. Wenn wir einmal – gewiß hypothetisch – nach den Möglichkeiten historischer Alternativen fragen – für die weltpolitische und nationale Entwicklung nach 1945, genauer nach 1947/48 –, so müßte doch gefragt werden: Welche Entwicklung wäre in Europa und in der Welt möglich gewesen, wenn sich das Konzept der antifaschistisch-demokratischen Erneuerung – getragen von einem breiten Konsensus gesellschaftlicher Kräfte – durchgesetzt hätte? Ich finde diese Problematik auch deshalb interessant, weil z. B. bei der Münchener Geschichtskonferenz des DGB im Jahre 1979 ein heftiger Streit über die Thesen des Historikers Lutz Niethammer ausgebrochen ist, der feststellte, daß die Entscheidung für den Marshall-Plan auch in den DGB-Gewerkschaften im Jahre 1948, d. h. die Entscheidung für den Westen, zugleich eine Entscheidung gegen die eigenen gesellschaftspolitischen Neuordnungsprogramme gewesen ist. Dazu gehörte dann auch die Blockbildung in den Fronten des Kalten Krieges – einschließlich der deutschen Spaltung und der Remilitarisierung seit den frühen 50er Jahren. Was waren denn nach euren damaligen Vorstellungen die Alternativen? Hätte die Konfrontations- und Hochrüstungspolitik im Zeichen der atomaren Bedrohung, die dann einsetzte, verhindert werden können – z. B. durch eine europäische Friedensordnung?

J.S.: Die Alternative war im Grunde die Alternative von Potsdam. Deshalb auch unsere Überzeugung, daß eine realistische deutsche Arbeiterpolitik oder antifaschistische Politik nur auf der Basis des Potsdamer Abkommens möglich war. Wenn man in spekulativer Richtung fragt: Gab es denn diese Chance auch noch nach dem Beginn des Kalten Krieges, nach dem mehr und mehr sichtbaren Auseinanderfallen der Anti-Hitler-Koalition, nach der Truman-Doktrin, so würde ich sagen: Das läßt sich historisch nicht beantworten. Man kann nur hypothetisch sagen: Auch wenn die amerikanische Politik mit Gewalt- und in Verbindung mit der Politik in Großbritannien, in Frankreich usw. – diesen Kurs in Deutschland durchgesetzt hätte (in den Westzonen – sie konnte ihn in der späteren DDR nicht durchsetzen); dann hätte natürlich ein Zusammengehen der deutschen antifaschistischen Kräfte, der deutschen Sozialdemokratie, der Kommunisten und in gewissem Grade auch der bürgerlich-nationalen, antifaschistischen Kräfte, eine ganz andere Entwicklung bedeutet. Es hätte die Position der Nachfolger Roosevelts, die die Rooseveltsche Linie verlassen hatten, unerhört erschwert und hätte die ganze Entwicklung des Kalten Krieges erschwert.

Zu Potsdam: Es ist eine reine Fälschung zu sagen, Potsdam bedeute vom Standpunkt der Sowjetunion Kurs auf ein »sowjetisiertes« oder sozialistisches Deutschland. Potsdam war ein Kompromiß, ein Kompromiß einer sozialistischen Macht mit kapitalistischen Mächten, es bedeutete in Wirklichkeit ein neutralisiertes, entmilitarisiertes Deutschland, in dem zwar die antifaschistischen Kräfte ganz andere Möglichkeiten gehabt hätten, in dem aber ein sozialistischer Weg das Problem des inneren Klassenkampfes gewesen wäre. Insofern ist die Frage der Einheit der antifaschistischen Kräfte das entscheidende damalige historische Problem. Ich sehe heute noch die Berechtigung der kommunistischen Partei in allen Teilen Deutschlands, daß sie auf dieser Basis operierte; weil jeder soziale und demokratische Fortschritt in den Westzonen davon abhing und weil in der Tat – da gebe ich allerdings Niethammer recht –, sobald diese Weichen in Richtung Marshallplan – ich habe das übrigens damals schon in einer Broschüre der KPD gesagt, die ich 1949 über den Marshallplan geschrieben habe12 – gestellt waren, dies zugleich die Remilitarisierung bedeutete. Der Marshallplan ist die Vorauszahlung für die Remilitarisierung und für die eigentliche Vollendung des Restaurationsprozesses in der späteren Bundesrepublik.

G.F.: Wer ist dafür eigentlich verantwortlich: die außenpolitische Konstellation der drei kapitalistischen Siegermächte im Westen oder doch auch das innere Kräfteverhältnis? Also: Trotz aller Einheitsbestrebungen waren die spaltungsbereiten bürgerlichen und rechtssozialdemokratischen Kräfte offenbar erstens einmal schneller und zweitens auch kräftiger und im Rahmen ihrer Organisationen auch prägender.

J.S.: Ich glaube, der Grundfehler in der sozialdemokratischen Politik unter Schumacher und der aus London zurückgekehrten Gruppe – bei der ja der Einfluß vor allem von Ollenhauer und Heine ausging, später erst von Eichler und anderen –, der unvermeidlich zur Westorientierung führen mußte, war eben der Antisowjetismus und Antikommunismus. Es gab ja die Meinung bei Schumacher, man könne die Mittelschichten mit dem Antikommunismus und gleichzeitig mit der Losung vom Sozialismus als Tagesaufgabe anziehen. Das war eine ganz bodenlose Illusion, sie hatte überhaupt keine reale Chance. Denn die einzige Kraft, welche die Mittelschichten hätte anziehen können, lag in der Einheit der Arbeiterschaft. Sie lag in einem massiven Block der Arbeiterbewegung, der bürgerliche Kräfte wirklich hätte loslösen können. Nun kann man sagen: wie das angesichts der amerikanischen, französischen und britischen Besatzung ausgegangen wäre, das wissen wir nicht. Aber wir wissen in jedem Fall, daß ganz andere Barrieren gegen den Restaurationsprozeß entstanden wären. Das andere bleibt geschichtliche Hypothese.

F.D.: Wir sollten jetzt noch einmal auf den zweiten Teil meiner vorletzten Frage kommen. Du hast gesagt: zunächst einmal ist für die Nachkriegszeit bestimmend die Geduld, mit der die Kommunisten versucht haben, diesen Einheitsblock, diesen antifaschistisch-demokratischen Block politisch zu erreichen. Dann haben wir aber das Umkippen. Ich weiß nicht, ob es ein Umkippen ist – ich formuliere es zunächst einmal so …

J.S.: Es ist kein Umkippen. Es ist ein Prozeß, der sich allmählich vollzieht, bei dem natürlich die internationalen Beziehungen eine ganz entscheidende Rolle spielen, bei dem die Entwicklungen in der DDR, auch ihre ökonomischen Schwierigkeiten in der »Interpretation« durch die hiesigen Medien wichtig werden. Aber ich würde sagen, auch in dieser Periode gibt es den Versuch, der jetzt allerdings eine andere Färbung annimmt; es kommt jetzt in unsere politische Strategie sehr stark der Versuch, die Hoffnung – in gewissem Sinne kann man sagen, die Illusion –, über die Kämpfe um die Abwendung der deutschen Spaltung politische Bewußtseinsprozesse einzuleiten, die auch in der Sozialdemokratie, in den Gewerkschaften und natürlich weit hinein in den kleinbürgerlichen Massen Wirkung erlangen würden, wenn das Bewußtsein Platz greift: was in den Westzonen jetzt vor sich geht, muß die deutsche Spaltung herbeiführen. Die institutionellen Tatsachen, die dann eintreten (und die ja immer erst später Antworten erfahren in der sowjetischen Zone, in der sowjetischen Deutschlandpolitik, in der Gründung der DDR, die eine Reaktion, eine Antwort auf diese Spaltungsprozesse darstellt), diese nationalen Probleme werden, auch aufgrund der Erfahrungen von Faschismus und Krieg, Umdenkungsprozesse einleiten. Später, als schon sichtbar war, daß das nicht auf der Basis der Einheitsprozesse von unten Erfolg haben konnte – höchstens diplomatisch 1952 im Frühjahr13 – hatten wir sicherlich manche Illusion.

Dennoch ist es ja immer so: Wer kämpft, muß zunächst einmal solche Prozesse vorwärtszubringen suchen, auch wenn er nicht weiß, ob sie Erfolg haben können. Wenn man solchen Gefahren begegnen will, gibt es keine andere Alternative als diesen Weg zunächst einmal zu versuchen. So würde ich sagen, die Färbung ändert sich, selbst auch 1949 im Parlamentarischen Rat. Wir sind ja in den Verfassungsberatungen, die KPD beteiligt sich. Sie bringt fast eine ganz neue Verfassung, sie bringt soziale Grundrechte ein. Die KPD bringt den Vorschlag des Rechts auf Arbeit ein, auch auf der Grundlage von bereits vorher publizierten Verfassungsdokumenten der SED in der späteren DDR. Nur, was sie in den Vordergrund rückt, ist in dieser Periode historisch absolut begründet, auch in relativ breiten Massenstimmungen. Selbst die anderen sind nicht sofort bereit, einen westdeutschen Staat mit endgültiger Verfassung – sie weichen dem Begriff sogar aus und nennen es Grundgesetz – zu gründen. Das nationale Moment – manche Jugendliche werden diesem Braten vielleicht heute mißtrauen – war damals das entscheidende, das friedliche Moment. Das war die Frage: Ein entmilitarisiertes Deutschland oder aber ein militarisiertes Westdeutschland, dem dann unvermeidlich auch eine Volksarmee in der DDR folgen mußte. Es war wesentlich auch gerade die Kriegserfahrung, die in dieser Frage steckte. Man mußte ihre Lösung versuchen. Natürlich haben die außenpolitischen Prozesse damals stark hineingewirkt, die ganze Entwicklung in Westeuropa und alles, was mit dem Kalten Krieg zusammenhing. Man darf ja auch nicht vergessen man denkt immer nur an die McCarthy-Periode, an die Zeit Anfang bis Mitte der 50er Jahre –, daß die Beratungen des Komitees für »unamerikanische Aktivitäten« unmittelbar nach der Truman-Doktrin beginnen. Fast alle progressiven amerikanischen Schriftsteller erscheinen damals als die kommunistischen Unterwanderer, und das alles schlägt auf die deutsche Politik zurück. Das soll nur zur Illustration der Zeitatmosphäre dienen.

F.D.: Gab es aus dieser Situation heraus auch so etwas wie eine revolutionäre Ungeduld der KPD?

J.S.: Ich glaube, man kann die Perioden am Ende der 20er Jahre und am Ende der 40er Jahre überhaupt nicht miteinander vergleichen. Wir waren ja nicht mehr in einer Angriffslage oder Angriffsstimmung, sondern wir waren eigentlich in der Stimmung und in der Praxis der massiven Abwehr. Es bestand wirklich Kriegsgefahr, die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Emil Carlebach hat damals mit Kurt Schumacher gesprochen – vorher hatte er ja ein paar Jahre in Dachau mit ihm zusammengesessen – er traf ihn dann 1946. Da hat Schumacher begründet, warum er mit ihm nicht sprechen will. Er sagte: es kommt sowieso zum Krieg zwischen Rußland und den Westmächten, und da stehst Du auf der Seite Moskaus und ich auf der Seite Londons.

G.F.: Von heute aus könnte man sagen, mit der Truman-Doktrin von 1947 ist ja eigentlich, sagen wir, die außenpolitische Geschäftsgrundlage der Politik der KPD entfallen – die außenpolitische Geschäftsgrundlage war die Anti-Hitler-Koalition. Das ist die Ursache dafür gewesen, daß die Partei auch im Westen lizensiert worden ist, daß sie ja ähnlich wie in Westeuropa Regierungsfunktionen vom Magistrat aufwärts bis 1947/48 eingenommen hat. Das zerbricht 1948. Die anderen Parteien, von der CDU angefangen, später dann die SPD und die FDP, stellen sich auf den Prozeß der Halbstaatlichkeit erstaunlich schnell um. Die Kommunisten nicht. Sie sagen: »Wir müssen uns orientieren auf Einheit« bis weit in die 50er Jahre hinein und vergeben sich dann natürlich auch die Chance der Mitwirkung im Westen – das war ja auch im Grunde keine Chance –, geraten damit auch in einen ganz starken Nachteil. Aber sie halten also Ziele aufrecht, die nicht mehr zu verteidigen gewesen sind: die nationale Einheit, das Potsdamer Konzept. Das wäre eine mögliche Antwort auf die Frage nach den Ursachen für das Scheitern der KPD. Eine andere Antwort aus der Sicht des Jahres 1986 wäre – und das kommt mit dem vollen Durchbruch der Nachkriegskonjunktur, also spätestens im Sommer 1948 voll zum Ausdruck: daß wir einen ganz neuen Akkumulationstypus in Deutschland haben, den niemand vorhergesehen hat. Es kommt eine »lange Welle« von 20 Jahren – da haben die Sozialdemokraten und auch andere Schwierigkeiten, das zu interpretieren, sie geraten in eine Oppositionsposition hinein. Mehr noch gilt das für die Kommunisten. Sowohl außen- als auch wirtschaftspolitisch geraten jetzt die Kommunisten, spätestens ab 1948, in eine Situation hinein, die sie in einen völlig neuen Lernprozeß zwingt, der innerhalb weniger Monate oder Jahre überhaupt nicht zu bewältigen ist. Der Rückgang der Mitgliederzahl läuft einerseits parallel zum Rückgang der Mitgliederzahl anderer Parteien auch – das hängt mit der Währungsreform zusammen. Andererseits hat er auch etwas damit zu tun, daß für längere Zeit doch die ganze Evidenz der westdeutschen Entwicklung der Programmatik der KPD – wie sie im Juni 1945 entworfen wurde – zuwiderläuft. Das heißt, die KPD bleibt plötzlich hinter den Realitäten zurück und braucht lange, lange Jahre, um das nachzuvollziehen. So könnte man es aus heutiger Sicht vielleicht auch interpretieren, was ab 1947 passiert ist. Was würdest Du dazu sagen?

J.S.: Selbst aus der Sicht des Jahres 1986 würde ich sagen, es ist eine zu kurzgreifende weltpolitische oder gar welthistorische Analyse. Und das trifft auch für die westdeutsche Entwicklung zu. Zwar ist sicher, daß im März 1947 die Truman-Doktrin, für die Deutschlandpolitik der Westmächte vielleicht schon im September 1946 die Byrnes-Rede in Stuttgart, tiefe Einschnitte bedeuteten. Es wurde klar, daß in den USA inzwischen eine Koalition des rechten Flügels der Demokraten mit der ohnehin gegen die Roosevelt-Politik eingestellten Republikanischen Partei sich gegen die Fortsetzung der Anti-Hitler-Koalition zusamengefunden hatte. Nur: konnte man annehmen, daß die amerikanische Politik imstande sein würde, die Grundlage von Potsdam sofort und auf der ganzen Front zu verlassen? Das konnte man nicht annehmen, und übrigens ist das nicht einmal passiert. Denn die USA waren eben noch eine ganze Weile gezwungen, zu verhandeln. Und das Entscheidende war: Konnten die Kommunisten diese Grundlage sozusagen als »Illusion« aufgeben und sich schon eine andere Grundlage zu dieser Zeit suchen? Oder mußten sie nicht diese Basis verteidigen und sie mit nationalen deutschen und friedlichen Interessen zu verbinden suchen, um zu zeigen, daß die für die Deutschen eine sehr viel bessere Basis sind? Mußten sie nicht ihren Einfluß auf die Rettung gerade dieser, vielleicht schwer erreichbaren, vielleicht illusionären, im deutschen Interesse aber sehr viel besseren Grundlage konzentrieren? Konnten sie sozusagen Potsdam verlassen und den Amerikanern oder auch der Reaktion in den Westzonen das vollständige Aufgeben des antifaschistischen Konsenses oder der Potsdam-Grundlage erleichtern? Das war die eine Seite. Aber angenommen, wir hätten Potsdam bereits als völlig überholt abgetan (daß wir selbst diese Zweifel hatten und intern oft darüber diskutierten und uns darüber klar waren, daß die Westmächte diesen Boden bereits verlassen hatten, daß wir sozusagen mehr als Warner und Mahner und nicht als Gläubige diesen Prozeß verfolgt haben, das könnt Ihr nachlesen): Wäre es für uns prinzipiell möglich und strategisch günstig gewesen, eine andere Position einzunehmen? Auf keinen Fall. Welche gab es denn? Es hätte doch nur eine einzige Alternative für Kommunisten oder Linkssozialisten oder nationalbewußte Antifaschisten und Antimilitaristen gegeben: die Linie Revolution, antikoloniale Revolution. Eine andere Gegenposition hätte es ja schwerlich geben können, und die wäre irreal und selbstmörderisch gewesen. Also war das Festhalten an Potsdam die einzige Alternative. Es ist im übrigen ein schrecklicher historischer Irrtum anzunehmen, daß man in jeder Epoche Erfolge erzielen kann. Das kann man nicht. Da muß man im politischen Agieren – übrigens jede Opposition, nicht nur die revolutionäre – durchhalten.

Aber geschichtlich sieht das alles etwas anders aus. Wenn man nämlich dann in Jahrzehnten summiert, sind die Ergebnisse ganz andere. Die zweite Sache ist: Natürlich haben wir auch, wenn Ihr wollt, Illusionen erzeugt, unvermeidlich. Solange man sich auf einen Boden stellt, der bereits ausgehöhlt ist- Potsdam –, erzeugst du unvermeidlich auch Illusionen. Man kann intern dann natürlich Rechenschaft ablegen. Wir haben es ja auch öffentlich getan. Es kam ja dann auch im Herbst 1947 die weltpolitische Analyse von sowjetischer Seite zum Verlassen der Anti-Hitler-Koalition und des Potsdamer Abkommens durch die Westmächte. Das war ja für uns auch eine Frage der Verarbeitung, die intensiv theoretisch vor sich ging. Nur: wir mußten in der praktischen Politik an der bisherigen Linie – also sagen wir: Antifaschismus, Antimilitarismus, deutsche Einheit – festhalten, weil es für uns keine andere Aktionsgrundlage gab. Wenn ich es einmal bildhaft übertragen soll: Wir kennen alle den die soziale und politische Realität verhüllenden Charakter der bürgerlichen Verfassungen, und doch haben wir die Pflicht zu sagen: Natürlich, bürgerliche Verfassungen haben immer einen verhüllenden Charakter, aber wir müssen sie beim Wort nehmen, beim Buchstaben nehmen.

Ähnlich war es mit den internationalen Verträgen, mit dem Potsdamer Abkommen. Selbst aus der Sicht von heute, also im historischen Rückblick, würde ich sagen: Was wir Kommunisten wollten, war eine tiefe antimonopolistische, antimilitaristische Umwälzung. Wer will bestreiten, daß das im Interesse des ganzen deutschen Volkes lag? Dafür gab es nur eine außenpolitische Grundlage: Potsdam. Im einzelnen haben wir damals sicher viel Falsches geschrieben und gesagt. Nur, von der Grundsatzlinie her, glaube ich, hatten wir keine andere Wahl. Die ökonomische Entwicklung: da hast Du natürlich recht. Das ist die entscheidende Basis für das Begreifen der Entwicklung, die durch die Maßnahmen der Militärregierung, durch die Politik der rechten sozialdemokratischen Führung, durch den neu aufgebauten und ja sehr leicht von der Nazi-Vergangenheit her weiterzuführenden Antikommunismus und Antisowjetismus allein nicht zu schaffen war. Die rein politischen und administrativen Maßnahmen hätten nicht ausgereicht, um die starke Zurückdrängung der KPD zu erreichen. Sie wurde ermöglicht durch das, was dann einsetzte mit der ökonomischen Entwicklung. Die Möglichkeit der relativ langwährenden Nachkriegskonjunktur infolge des gewaltigen Nachholbedarfs und des Koreabooms haben wir sicher nicht richtig eingeschätzt. Nur, das war zu dieser Zeit noch nicht absehbar. Ich erinnere mich noch, ich hatte eine Arbeit von Varga und Mendelsohn aus Moskau bekommen, ich glaube 1948, als ich in Aachen zu einem Vortrag eingeladen war; ich sagte damals, analog zu den Tendenzen in den USA vor dem Koreaboom 1950, für die Bundesrepublik Krisenprozesse voraus. Wir tendierten alle dazu, die Entwicklung vor 1929 und die »Große Krise« selbst als Maßstab zu nehmen.

G.F.: Gibt es auch subjektive Konstellationen in der Parteipolitik für die Eingrenzung der Möglichkeiten der Arbeiterbewegung und der KPD? Wir haben ja schon die Faktoren der Innenpolitik genannt, diese riesige Konjunktur, die vielleicht von den Bürgerlichen auch gar nicht so erwartet worden war, nicht nur von der Arbeiterbewegung nicht. Wie reagiert darauf jetzt die KPD selber? Gibt es für ihr Schwinden oder für ihre verringerten Möglichkeiten auch subjektive Faktoren?

J.S.: Ja, sicher gibt es subjektive Faktoren. Obwohl ich sagen würde, man darf diese subjektiven Fehler nicht überschätzen in ihrer Wirkung. Die Haupteinwirkung ist die politische Großwetterlage, international, ökonomisch und innenpolitisch; wesentlich sind die konjunkturelle Entwicklung, der Antikommunismus, dann die Beziehungen der beiden deutschen Staaten. Die Fehler sind eindeutig: sie bestehen meiner Meinung nach vor allem darin, daß wir die Möglichkeiten der Mobilisierung breitester Massen gegen die Remilitarisierung und für ein entmilitarisiertes geeintes Deutschland überschätzt haben; daß wir die Wirkung der unmittelbaren sozialen Verbesserungen, auch im Sinne der Atempause für breiteste Massen nach den furchtbaren Leiden und Entbehrungen des Krieges und in ihrer Orientierung auf die unmittelbaren Lebensbedürfnisse, auch die Nachwirkungen der Entpolitisierung, die ja im Grunde nie aufgehört hat, trotz vorübergehender stimmungsmäßiger Veränderungen – daß wir all das unterschätzt haben. In diesem Sinne haben wir auch oft eine falsche Sprache, eine zu radikale Sprache gesprochen. Aber das sind, meiner Meinung nach, sekundäre Fragen. Man kann das auch oft in der Geschichte verfolgen: die besten Methoden, Losungen, Forderungen, Ideen erzielen in Perioden, in denen die politische Großwetterlage eine andere ist, keine Wirkung. Sonst wären ja solche Ereignisse in der Geschichte völlig unerklärbar wie die Tatsache, daß drei oder vier Jahre genügen, um von der chauvinistischen Massenstimmung des 4. August 1914 zur revolutionären Krisenstimmung 1917/1918 zu kommen. Es wäre völlig unerklärbar, wenn das eben nicht von den Leiden und Erfahrungen der Massen im Krieg her erklärt würde, sondern von noch so guten politischen Losungen.

F.D.: Wir haben in dieser Zeit in den kapitalistischen Ländern einen unglaublichen Druck vor allem auf die kommunistische Bewegung. Du hast es schon erwähnt, sie fliegen aus den Regierungen heraus. Es wird immer klarer, daß die Restauration, die amerikanische Politik usw. auch mit repressiven innenpolitischen Methoden versucht, den Block der antifaschistischen, demokratischen Kräfte aufzubrechen, die Resistenza-Bewegung zu schwächen in Italien – da haben wir das Attentat auf Togliatti in dieser Periode. Das alles zusammen bedeutet jetzt einen unglaublichen Druck auf die Sowjetunion, vor allem auf die politische Lage – was im imperialistischen Kalkül natürlich eine Rolle spielt – in den mittel- und osteuropäischen Ländern, verbunden mit großen innenpolitischen Problemen in diesen Ländern. Auch in den westlichen kapitalistischen Ländern ist es diese Druckkonstellation, die jetzt wiederum in der kommunistischen Bewegung eine Verhärtung erzeugt. Beim XX. Parteitag der KPdSU hat Chruschtschow ja nicht nur Stalins Terror in den 30er Jahren kritisiert, sondern auch noch einmal bestimmte Perioden nach 1945, jetzt also in dieser Phase, Titoismus-Konflikt z. B. Ich habe vor kurzem einmal die hessische KPD-Zeitung aufgeschlagen aus dieser Periode – die »Sozialistische Volkszeitung«, da beschäftigt sich die Hälfte der Zeitung mit den Abweichungen und Gefahren in der KPD. Ist das sozusagen das Produkt?

J.S.: Der verhängnisvolle Bruch Stalins mit Jugoslawien ist ja eine solche unmittelbare Reaktion auf die Kalte-Kriegs-Politik des amerikanischen Imperialismus. Es herrscht die Furcht, die sozialistischen Kräfte könnten gespalten, auseinanderdividiert werden, wobei doch jede Kraft in dieser antiimperialistischen Front gebraucht wird. Diese Reaktion – mit völlig falschen Methoden – wurde ja schon vor dem XX. Parteitag durch die sowjetische Politik, die Reise der sowjetischen Führer nach Belgrad korrigiert, durch die Wiederaufnahme normaler staatlicher Beziehungen. Das alles wirkte sich aber auf die kommunistischen Parteien aus, und zwar, weil sie naturgemäß von ihrer Grundorientierung her annehmen mußten, daß diese Einschätzungen korrekt sind. Das gilt für die französische Partei und für die italienische Partei. Insofern wirkte es sich natürlich aus auf die ganze kommunistische Bewegung. Es mußte verhärtende Folgen, ideologische Auseinandersetzungen usw. nach sich ziehen. Auch wir hatten das in der KPD und haben sicherlich manchen guten Genossen in dieser Zeit verloren. Nur: unsere Urteilsmöglichkeit war begrenzt. Aber wir mußten gegen jede Schwächung der Einheit sein. Selbstverständlich waren die Auswirkungen äußerst ungünstig für die kommunistische Bewegung insgesamt. Daher auch die intensiven Versuche der Sowjetunion, es nach dem Tode Stalins so bald wie möglich zu korrigieren.

G.F.: Die ganze internationale Konstellation war wirklich sehr, sehr schwer. Die Sowjetunion hat wirklich nach dem Krieg ganz anders dagestanden als vor dem Krieg, also wirklich bis aufs Blut ausgepeinigt. Dann kommt der Koreakrieg.

J.S.: Das Schlimme ist, daß der Kalte Krieg bei Stalin offenbar eine Rückkehr zur Festungsmentalität im Verhältnis zu den bürgerlichen Regierungen und Diplomaten bewirkt hat, was ja vor dem Hintergrund der riesigen Verluste der UdSSR im zweiten Weltkrieg auch verständlich war. Und nun kommen die Furcht und das Mißtrauen, das eine oder andere volksdemokratische Land könne mit Sonderwegen die Front des Sozialismus schwächen.

8. Politik der KPD

G.F.: Wir wollen jetzt noch einmal zurückgehen bis zum Moment Deiner Rückkehr in die Westzonen im Oktober 1946. Du hast also ganz wichtige Entwicklungsschritte der KPD in den Westzonen erst nur aus der Emigration beobachten können. Es muß ja die KPD nun gerade in der Zeit 1946/47 in einer ziemlich komplizierten Situation gewesen sein, vorausgegangen war der im Reichsmaßstab angelegte Vereinigungsprozeß 1945/46 zwischen SPD und KPD, der dann nur erfolgt ist in der SBZ. Aber was war denn dann, sagen wir ab Ende 1946, die offizielle Stellung der KPD? Sie ist ja im Grunde nur noch ein Restfaktor, wenn man so will, der übriggeblieben ist aus einem nicht ganz gelungenen Vereinigungsprozeß, das war da auf der einen Seite die große SED in der sowjetischen Besatzungszone, und Du hast dann andererseits in den Westzonen die KPD, die ja dann nach den Intentionen des Vereinigungsprozesses eigentlich nicht hätte bestehen sollen...

J.S.: Nun war man sich natürlich in der sowjetisch besetzten Zone und erst recht in den Westzonen im klaren darüber, daß dieser Vereinigungsprozeß zwar auf einer einheitlichen Basis angestrebt wurde und weiter anzustreben sein würde, aber gleichzeitig wußte man auch, daß die Bedingungen in den Westzonen bereits andere waren. Darüber war man sich von Anfang an im klaren. Jetzt waren ja schon wesentliche Entwicklungsetappen sowohl in der Besatzungspolitik der Westmächte als auch innerhalb der SPD vor sich gegangen, so daß es klar war, daß der Zeitpunkt einer Vereinigung oder auch der ganze Weg des Vereinigungsprozesses in den Westzonen anders verlaufen würde. Die Tatsachen dafür waren gegeben.

Der Versuch war, durch die Bildung einer sozialistischen Einheitspartei in den Westzonen diesen Prozeß zu beschleunigen. Dieser Versuch, linke Sozialdemokraten und die Organisationen der KPD zur SED zu vereinigen, wurde von den westlichen Besatzungsmächten verboten. Es wurde verboten, den Namen SED zu gebrauchen. Die Begründungen waren unterschiedlich: die der amerikanischen und britischen Behörden liefen darauf hinaus, daß das in ihren Zonen nicht gestattet würde, weil es eine Tarnung der KPD sei. Die Begründung der Franzosen war etwas anders. Auf jeden Fall wurde es untersagt, so daß zentral zunächst eine Arbeitsgemeinschaft KPD – SED geschaffen wurde: die KPD in den Westzonen, die SED in der sowjetischen Zone. Viele bekannte westdeutsche Kommunisten waren in der Leitung dieser Arbeitsgemeinschaft vertreten. Aber der Wille zur Vereinigung existierte auch bei nicht wenigen Sozialdemokraten in den Westzonen. Auch auf dem Vereinigungsparteitag vom April 1946 waren ja Hunderte von linnken Sozialdemokraten aus den Westzonen zur Vereinigung bereit. Nach der Vereinigung, im Sommer und Herbst 1946, sprachen Führer der SED, unter ihnen Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck, auf großen Kundgebungen in einer ganzen Reihe von Großstädten der britischen und amerikanischen Zone mit einem Riesenbesuch. Der Vereinigungswille war tatsächlich stark. Es gab, insbesondere auch nach der Vereinigung zur SED, in den Westzonen viele zur Einheit bereite Sozialdemokraten.

Etwas unbefangenere bürgerliche Historiker, wie der Amerikaner Lewis J. Edinger, weisen darauf hin, daß sogar noch im Frühjahr 1947 weit mehr als ein Drittel der sozialdemokratischen Mitglieder durchaus für eine Vereinigung gewesen seien. Es gibt ja in dieser Zeit – noch eine ganze Reihe Beispiele dafür, daß Schumacher nicht überall Erfolg hatte mit seinen Versuchen gegen die Einigung.

Es gibt die bekannte Abstimmung in Westberlin vom 31. März 1946, wo zwar in bezug auf die sofortige Vereinigung mehrheitlich mit »Nein« gestimmt wird, wo aber der größte Teil der Abstimmenden für eine prinzipielle Zusammenarbeit und spätere Vereinigung eintrat. Aber, um zu den späteren Entwicklungen zu kommen: es war so, daß diese Arbeitsgemeinschaft SED-KPD eine ganze Weile existierte, sich aber immer deutlicher abzeichnete, daß die ganz andersgeartete Entwicklung in den Westzonen selbständige Organisationsstrukturen der KPD notwendig machte, daß diese Art des Vereinigungsprozesses nicht durchführbar war.

Und so entwickelten sich dann auch die organisatorischen Strukturen in der Richtung einer Zusammenführung der Zonenorganisationen der KPD. Im Frühjahr 1948 findet in Herne die Konferenz statt, auf der ein Parteivorstand der KPD für die Westzonen beschlossen und dann auch in Frankfurt geschaffen wird. Es folgte der Versuch, die Barrieren der Sozialdemokraten uns gegenüber abzubauen und Sozialdemokraten für die Partei zu gewinnen, nachdem es mit der SED gescheitert war. Es gibt den Versuch, auf der Solinger Konferenz im Frühjahr 1949, die KPD in Sozialistische Volkspartei umzubenennen. Das war bereits eine Delegiertenkonferenz, wo die gewählten Delegierten aus den einzelnen Zonen und Landesorganisationen gewählt worden waren. Auch dieser Versuch wurde von den Besatzungsmächten vereitelt. Wir hatten die Hoffnung, den Vereinigungsprozeß von unten her weiterzutreiben. Von oben war ja völlig klar, daß es aussichtslos war, da gab es ja längst die einheitsfeindliche antikommunistische Politik der Schumacher-Führung. Man mußte versuchen, und das tat die Partei auch, insbesondere auf parlamentarischem und gewerkschaftlichem Feld, gemeinsam zu agieren, wo man dies konnte, und gleichzeitig den Prozeß der Diskussion und Zusammenarbeit auf lokaler, betrieblicher Ebene weiterzutreiben. Das war die Absicht der Namensumbenennung, die nichts damit zu tun hatte, daß wir nun unbedingt wegen des Antikommunismus den Namen »Kommunistische Partei« loswerden wollten. Der hauptsächliche Grund war, Brücken zu sozialdemokratischen Mitgliedern, auch unorganisierten Sozialisten und Sozialdemokraten zu bauen, die sich organisatorisch noch nicht festgelegt hatten oder mit der SPD-Politik nicht einverstanden waren. Daher: Sozialistische Volkspartei. Das wurde von den Briten und Amerikanern sofort abgelehnt, während die Franzosen auf den Ausweg verfielen, zu sagen: Wenn Sie einen solchen Namen wollen, müssen Sie eine neue Partei gründen, Sie müssen einen völlig neuen Antrag stellen zur Neubildung einer Partei. Es gab eine ganze Reihe von Gegenstimmen in Solingen, gegen diesen Beschluß, die Partei umzubenennen. Das erschien manchen Genossen als unzulässiger »Rückzug«. Die Schwaben waren es, glaube ich, die am stärksten dagegen opponierten. Der Genosse Hermann Nuding ist aufgetreten und noch eine Reihe anderer Genossen.

G.F.: Offiziell ist der Name nie durchgesetzt worden?

J.S.: Nein. Die Ablehnung der Besatzungsmächte enthob uns jeder weiteren Diskussion.

G.M.: War das auch der Hintergrund für die Auseinandersetzungen um den Titoismus in der Partei, die man in der kommunistischen Presse verfolgen kann?

J.S.: Die Namensnennung hatte damit nichts zu tun. Nein, der Hintergrund über Titoismus war international, ausschließlich international. Das ging aus von den Kominform-Dokumenten, von der Beschuldigung der Jugoslawen, und wir akzeptierten das ja, wobei man hinzufügen muß: Wir hatten nicht die historische Erfahrung, um daran zu zweifeln. Das wesentliche Moment war für uns die Frage des Zusammenhalts der sozialistischen, der volksdemokratischen Länder. Wir konnten damals nicht sehen, daß Stalin die Entwicklung völlig falsch einschätzte, daß mit dem Entstehen dieser Länder – und insbesondere infolge der großen Eigenständigkeit und der großen Rolle der jugoslawischen Partisanenarmeen – neue und andere Formen und Wege sich herausbildeten. Wir haben damals einige gute Genossen verloren, die mit den jugoslawischen Partisanen gekämpft hatten oder Jugoslawien kannten und die Anschuldigungen nicht akzeptierten. Das hat der kommunistischen Bewegung überall geschadet. Ich erinnere mich noch, wie ich einen jugoslawischen Korrespondenten, der zu dieser Zeit zu uns kam und mit mir ein Interview wollte, so habe abblitzen lassen, daß die Sekretärin im Nebenzimmer, eine Hamburger Genossin, ganz erschrocken war und meinte, sie hätte mich noch nie so abweisend erlebt wie in diesem Fall. Ich erwähne dies, um die Atmosphäre zu schildern, die das zur Folge hatte. Es war ja wirklich eine äußerst komplizierte Situation, wobei wir nicht begriffen, daß die wahre Schwächung davon ausging, daß Stalin meinte, allen dieselbe Linie aufzwingen zu müssen.

Es war zwar sicher ein lebenswichtiges Anliegen, die ökonomischen und militärischen Kräfte der volksdemokratischen Länder zusammenzuhalten, um der atomaren Erpressung durch die »roll back«-Strategie der USA entgegenzutreten. Stalins Methode in Jugoslawien mußte aber das Gegenteil bewirken.

G.F.: Es bleibt ja zunächst einmal so, daß die KPD erst ab 1948 einen eigenen Vorstand in den Westzonen hatte und das Leitungsorgan der Partei damit auch in der Arbeitsgemeinschaft SED-KPD war, wenn ich das recht sehe.

J.S.: Bis dahin, ja. Ich würde das aber relativieren. Die Arbeitsgemeinschaft KPD-SED, das war eine Zusammenfassung, die gewissermaßen die große Linie der auf Gesamtdeutschland gerichteten Strategie betraf. Die Politik der Partei in den einzelnen Zonen, die konkrete Politik zu Tagesfragen war nicht dadurch bestimmt.

G.F.: 1946 sind die Entscheidungen in den anderen Stäben der Parteien gefallen, in der SPD eigentlich schon seit Wennigsen, seit 1945; bei der CDU fällt die Entscheidung im Februar/März 1946. Kaiser fährt zu Adenauer, und dieser empfängt ihn kaum. Es wird klar, das Zentrum der Christlich-Demokratischen Union liegt in der britischen Zone und wird damals schon abgeschnitten von der sowjetischen Besatzungszone. Bei der FDP war das nicht so wichtig, da lief das tatsächlich auch bis 1948 gesamtdeutsch weiter. Die beiden großen Parteien aber, CDU und SPD, haben sich spätestens ab 1946 ihre operativen Stäbe geschaffen, die ausschließlich auf die Westzonen beschränkt sind, in den Westzonen gearbeitet haben. Die KPD, die die gesamtdeutsche Perspektive doch als operative Perspektive hatte, soweit ich jetzt sehe und wir es bisher gehört haben, hat im Grunde keinen auf die Westzonen beschränkten Operationsstab gehabt.

J.S.: Nein, und zwar aus dem Grunde, den Du selbst schon nennst. Wir konnten ja die Perspektive, daß eine demokratische Erneuerung im gesamtdeutsehen Maßstab erfolgen sollte, nicht schon vorzeitig aufgeben. Das wäre ein Aufgeben der politischen Perspektive damals gewesen, und wir mußten versuchen, die organisatorische Struktur dieser politischen Zielsetzung anzupassen. Daher waren wir in der Praxis ganz unvermeidlich – weil wir ja auch nicht ganz weltfremde Leute waren – bestrebt, die konkrete Politik, die Entwicklung der konkreten Forderungen, Vorschläge, Entwürfe usw. – das ist überall nachzulesen – den konkreten Bedingungen anzupassen. Doch dies geschah immer in Beziehung zu den weitergehenden Bestrebungen für ein antifaschistisches Deutschland insgesamt. Da die Entwicklung in der sowjetischer Zone in dieser Richtung, in der von uns angestrebten Zielsetzung, weiter war, waren unsere Vorschläge auch angepaßt an die dortigen Entwicklungen, um die Dinge in den Westzonen voranzubringen.

G.F.: Wie lange hat die KPD eigentlich an diese Perspektive geglaubt, die Perspektive eines demokratischen Gesamtdeutschland?

J.S.: Eigentlich noch sehr lange. Es änderte sich natürlich dann der Perspektivcharakter sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Die gesamtdeutsche Perspektive spielte später nicht mehr im Sinne des unmittelbaren politischen Massenkampfes in den Westzonen eine Rolle, sondern sehr viel stärker im Sinne a) der Verhandlungen der Mächte des Potsdamer Abkommens und Frankreichs und b) in einer noch späteren Phase als Ziel der Verhandlungen von DDR und Bundesrepublik. Es war völlig klar, daß ohne Vereinbarungen – je nachdem, welche Forderungen im Vordergrund standen, bis zu der des Friedensvertrages – der Großmächte, später der beiden deutschen Staaten und der Großmächte, eine Einigung auf friedlicher und antinazistischer Grundlage nicht zustandekommen konnte.

G.F.: Das heißt aber, daß nach 1947, ja eigentlich schon ab September 1946, seit der Bymes-Rede, ein eigener staatsrechtlicher, ökonomischer Mechanismus in Westdeutschland in Gang gesetzt wird mit eigenen Gremien, Wirtschaftsrat hier in Frankfurt, dann der Parlamentarische Rat, und die Kommunisten auch überall in diesen Gremien beteiligt sind, aber andererseits ihre Politik auf einer ganz anderen Ebene ansetzen, nämlich auf einer Ebene, für die es gar keine Mechanismen gibt, nämlich für Gesamtdeutschland. Bedeutet das nicht auch, daß man sich in die Rolle des Zuschauers, des Kommentators, des Opponenten hineinbegibt, während die anderen das machen, was man Politik nennt? Die Kommunisten sagen: das ist im Grunde nicht die Ebene, auf der wir handeln wollen, wir können nur versuchen, im Hinblick auf die internationale Arena zu kämpfen; in der gleichen Zeit machen die anderen eine Verfassung für diesen Teilstaat.

J.S.: Ja, in der Situation war es so, daß dieser Widerspruch existierte. Nur: in gewissem Sinne existiert ein solcher Widerspruch immer für oppositionelle Kräfte, insbesondere für grundsätzlich opppositionelle Kräfte. Er existiert nicht immer in dieser institutionellen Form, d. h., er existiert nicht immer so, daß man ankämpft gegen bestimmte sich vollziehende staatliche Verfassungsprozesse. Aber er existiert ja politisch, sozial, geistig auch sonst im Kampfe von oppositionellen Bewegungen. Soweit es damals diese staatliche, institutionelle Neuorientierung, den sich herausbildenden Separatstaat gibt, darf man nicht vergessen: das sind Dinge, die damals noch in Bewegung sind, die man hinterher, historisch rückblickend, sehr leicht als bereits unvermeidlich und abgeschlossen ansehen kann, die aber im Prozeß der Entwicklung selbst keineswegs bereits als abgeschlossen, vollendet angesehen werden können. Vor allem dann nicht, wenn man gegen eine solche Entwicklung, die noch im Fluß ist, ankämpft. Das reale Bild dieser Entwicklung sieht so aus: Wir sind ja nicht beiseitegetreten und haben gesagt: Wir wollen mit den Landtagen, die jetzt gebildet werden, nichts zu tun haben. Wir wollen mit den Verfassungen, die jetzt in den Ländern geschaffen werden, nichts zu tun haben. Wir haben ja nicht gesagt: es wird ein Zonenbeirat gebildet, und da nimmt die KPD nicht teil. Die KPD hat sogar einmal – wenn ich ein ganz extremes Beispiel nehmen darf – mit Kurt Schumacher und Konrad Adenauer, für uns Max Reimann, gemeinsam an den obersten Befehlshaber der britischen Militärregierung geschrieben. Also es war nicht so, daß die KPD diese konkreten Bedingungen einfach negiert hätte. Sondern sie hat versucht, in diesen Institutionen für Ziele zu arbeiten, die ja von der Stimmung her eine breite Massenbasis hatten, wenngleich nicht in der Färbung, in den konkreten Formen und Methoden, die wir vorgeschlagen haben. Es ist ja nicht so, daß damals etwa irgendeine der anderen Strömungen hätte offen erklären können: wir sind für die Spaltung Deutschlands, und wir sind für einen separaten westdeutschen Staat. Sie mußten das ja – weil sie der Stimmung in der Bevölkerung Tribut zollen mußten – unter dem Slogan tarnen: Wir tun das als ersten Schritt zur Einheit. Von alledem ausgehend, kam es zu dieser Politik. Sie hatte infolge der Stellung der anderen keine allzu starke parteipolitische Basis, das stimmt. Andererseits stand die Partei ja auch vor der Frage: ist nicht die Konzentration auf diese Seite der westdeutschen Entwicklung, Kampf gegen die Spaltung, Kampf gegen die Bildung eines selbständigen westdeutschen Staates geeignet, andere Schranken, die gegenüber der KPD bestanden, Einwände, Vorurteile, den antikommunistischen Druck abzubauen, würde dieses Moment nicht helfen, viele Kräfte, bis hinein ins Bürgertum, davon zu überzeugen, daß das Festhalten am Konzept von Potsdam im Interesse des ganzen deutschen Volkes ist?

F.D.: Inzwischen ist aber schon wieder eine neue Generation von Kommunisten angetreten. Du warst jetzt schon einer der älteren der Partei, und ich könnte mir vorstellen, daß in dieser Zeit von 1945–47 auch sehr viele junge Leute in die Partei hineingestömt sind. Das war wahrscheinlich zunächst ein Aufschwung. Dann geraten sie in dieses Abflauen hinein, ab 1947. Viele verlassen die Partei. Das sieht man an der Mitgliederentwicklung; andere, ganz junge Leute, vielleicht erst 20 Jahre alt, sind jetzt in der Partei. Wie war eigentlich die Stimmung bei diesen jungen Mitgliedern? Im Mai 1949 wird die Bundesrepublik konstituiert, und der Zug geht in eine ganz bestimmte Richtung ab. Wie stellt sich z. B. ein FDJ‘ler im Frühjahr 1949 die nächsten zwei Jahre vor?

J.S.: Immer noch mit einem starken Optimismus. Das ist ja immer so in solchen Perioden. Das ist im nachhinein sicher schwer verständlich, aber der Optimismus rührte ja her aus dem Bewußtsein, aus der Hoffnung, genauer gesagt: Es ist undenkbar, daß es antifaschistische Kräfte geben könnte nach diesem furchtbaren Krieg, die auf ein einiges und friedliches Deutschland verzichten wollen. Die Frage ist ja bereits verknüpft mit dem Remilitarisierungsproblem. Es beginnt 1949/50, wo die Remilitarisierungspläne offenkundig werden, wo dann auch die »Ohne mich«-Bewegung einsetzt, die starke Antikriegsstimmung, die starke Stimmung gegen jede Bewaffnung. Was zwingt denn einen Strauß, zu sagen: »Ich werde nie ein Gewehr in die Hand nehmen«? Was zwingt Adenauer dazu, immer wieder und öffentlich zu beschwören, daß er nicht im entferntesten daran denkt, einen westdeutschen Beitrag zum westlichen Militärbündnis zu wollen? Heuchelei ist der Tribut, den das Laster der Tugend zollt, sagt Blaise Pascal. Es war der Tribut an die Massenstimmung. Die Kommunisten rechneten damit, daß diese Stimmung, nicht im engen Parteisinne, aber im Sinne dieser Bewegung für eine Vereinbarung der Großmächte zum Friedensvertrag führen könnte, daß man dafür alles tun müsse; auch zu Vereinbarungen der bereits existierenden beiden deutschen Staaten in Richtung auf die Einheitsentwicklung.

F.D.: Ich würde da gern noch eine zweite Frage anschließen. In dieser Zeit, 1951/52, setzt sich eine politische Orientierung der KPD durch, die heute auch noch diskutiert wird. Dafür gibt es Stichworte wie »These 37«, »Revolutionärer Sturz des Adenauer-Regimes«. Ich will einmal bei der Gewerkschaftsproblematik bleiben: der Hessische Metallarbeiterstreik 1951, bei dem von der KPD eigene Streikkomitees gebildet werden. Zugleich werden die großen politischen Fragen, wie die Remilitarisierungsfrage, die Frage der deutschen Einheit – bis übrigens zum Metallarbeiterstreik 1954 in Bayern – in die Streikkämpfe von der KPD hineingetragen. Dann: die Reaktionen der KPD auf die Reverspolitik einiger Gewerkschaftsführungen führen ja auch dazu, daß viele kommunistische Gewerkschafter aus den Gewerkschaften ausscheiden. Wir wissen, daß die DKP heute zu diesen Fragen eine ganz andere Position hat. Aber man fragt sich erstens: Wie kam es zu dieser Politik? Zweitens: Wenn man die Argumentation der damaligen Zeit anschaut, hat man sehr stark den Eindruck, daß die Grundkonzeption der KPD von der Überlegung ausgeht: Westdeutschland wird in eine amerikanische Kolonie verwandelt. Togliatti sagt in der Zeit einmal: die Amerikaner haben die Westzonen in ein riesiges Bordell verwandelt. Das ist wichtig, weil das ja auch in anderen Zusammenhängen mit Togliatti interpretiert wird. Remilitarisierung natürlich – Du hast davon gesprochen –, die Hoffnung auf eine Chance, im Bereich der internationalen Politik doch noch zu einer Vereinbarung, sagen wir auf der Basis von Potsdam, zu kommen usw. Man hat, wenn man das heute liest, den Eindruck, daß es fast ein verzweifeltes Aufbäumen gegen diese Entwicklung ist; jetzt auch mit einer Radikalisierung der politischen Sprache, der politischen Programmatik im Blick auf die Arbeiterklasse, also z. B. die Gewerkschaftsfrage. Es ist aber doch offenbar ein großes Problem in der damaligen Zeit, daß diese Radikalisierung in der Arbeiterklasse selbst nicht einsetzt, daß auch nach 1948 die ökonomische Entwicklung nicht in der Richtung von Krisen geht, wie es KPD und SPD voraussagten. Die soziale Lage der Arbeiterklasse hat sich kontinuierlich verbessert. War das jetzt einer der Gründe dafür, daß es auch immer schwieriger wurde, sich mit dieser politischen Programmatik an die Arbeiterklasse zu wenden? Und: hat das KPD-Verbot die strategische Bearbeitung dieser Veränderungen nicht in gewisser Weise erschwert? Denn: in dieser Periode, in den 50er Jahren, findet in allen kommunistischen Parteien in den entwickelten kapitalistischen Ländern ein strategischer Reflexionsprozeß und auch ein theoretischer Diskussionsprozeß – die Stamokap-Diskussion mit neuen Erkenntnissen über die Entwicklung des Kapitalismus – statt, der dann zu neuen strategischen Orientierungen in der Bewertung des Verhältnisses von Reformen und der Perspektiven der Revolution führt.

J.S.: Vielleicht kannst Du mich ab und zu durch Stichworte wieder an die einzelnen Punkte erinnern. Also wie kommt es zu diesen Überschätzungen und Überspitzungen? Ich glaube, die Hauptursache ist das Friedensproblem. Hier ist der Blick auf die historische Vergangenheit wichtig. Die kommunistische Bewegung war entstanden aus den Erfahrungen des ersten Weltkrieges. Die kommunistische Bewegung nach 1945 wurde, wenn Du willst, sogar von zwei Generationen geführt, deren bestimmende Erfahrung Faschismus und Krieg waren.

F.D.: Und Revolution.

J.S.: Oktoberrevolution, ja. Aber die bestimmenden Erfahrungen der deutschen Kommunisten, also die inneren Erfahrungen waren Faschismus und Krieg, einschließlich der eigenen Fehler vor 1933. Das heißt, die Hauptfrage im Bewußtsein, die auch die einzelnen sehr stark bestimmte, war die Verantwortung des deutschen Volkes im historisch-politischen und moralischen Sinne – die Mitverantwortung für den Faschismus und den zweiten Weltkrieg. Bei den furchtbaren Opfern der Völker – auch des deutschen Volkes – mußte der Friede die erste Aufgabe sein. Und daher schien die Remilitarisierung auch als Instrument, als eigentliches Ziel der Spaltungsprozesse, der Gründung des Weststaates. Wir waren mit dieser Auffassung keineswegs allein. Es gibt das bekannte Wort von Rudolf Augstein: Da wurde nicht Militär für einen Staat, sondern ein Staat für das Militär geschaffen. Das bedeutet, daß wir diese politische Seite der Entwicklung bewußt in den Vordergrund gerückt haben und daß wir erwarteten, daß diese Politisierung, die Fragen der Einheit und der Verhinderung der Remilitarisierung, was zusammenfiel, bis in pazifistisch und national gesonnene Bürgerkreise hineinwirken würde, denen das entweder aus Tradition naheging, oder die einfach die Erfahrung aus dem Krieg gezogen hatten, insbesondere in der jungen Generation, der »Ohne-mich«-Bewegung eines elementaren, spontanen Antimilitarismus. Wir hofften auf tiefe Einbrüche auch in die Sozialdemokratie und insbesondere in die Gewerkschaften.

D.h. wir unterschätzten sicher, daß das alles überlagert war durch die gleichzeitig vor sich gehenden ökonomischen und sozialen Prozesse der Hebung des Lebensstandards, der Möglichkeit, sich wieder eine Wohnung, Kleidung zu schaffen, der Anpassung der Millionenmassen von Flüchtlingen, die sich nun erst eine ganz dürftige Existenz aufbauen konnten. Wir unterschätzten die schweren Folgen der Entpolitisierung, der verbreiteten Furcht vor Politik, der Berührungsängste gegenüber Kommunisten infolge der wieder einsetzenden Verfolgung und Diffamierung und der Wirkungen der infamen Hetze in der Frage der Kriegsgefangenen und der Grenzen. Diese Überlagerungen haben wir nicht in ihrem Ausmaß gesehen. Es ist ein verständlicher Fehler, weil ja die existientiel/e Bedrohung, die unmittelbare Kriegsgefahr sicher von allen progressiven Kräften überschätzt wurde. Aber man darf nicht vergessen, daß 1950 der Koreakrieg begann und daß die Politik der Eindämmung (containment) und des Zurückrollens (roll back) des Kommunismus bereits eingeleitet war.

F.D.: ... weil Du jetzt Koreakrieg ansprichst: Ich weiß, daß wir auch zuhause darüber diskutiert haben. Das ist eine sehr frühe Jugenderinnerung für mich: gibt es jetzt wieder Krieg? Das hing natürlich mit den Meldungen in der Presse und im Rundfunk zusammen.

Inzwischen weiß ich, daß damals tatsächlich die akute Gefahr eines Atomkrieges bestand; denn die USA haben den Einsatz von Atombomben erwogen und angekündigt. Das hing – wie wir wissen – mit der Roll-Back-Strategie zusammen. Betrachten wir einmal einen Moment diese Problematik aus der Perspektive der heutigen Friedensbewegung und auch der Kommunisten in dieser Frage. Je größer die Gefahr einer atomaren Katastrophe ist, umso wichtiger ist es, eine möglichst breite Front der Friedenskräfte – unter Einschluß der Sozialdemokraten, der Gewerkschafter usw. – herzustellen. Aber damals radikalisierte sich die Politik der KPD, indem frontal die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsführungen als »Handlanger« des US-Imperialismus angegriffen wurden, obwohl es doch auch in der SPD und in den Gewerkschaften starke Bewegungen – vor allem innerhalb der Jugendorganisationen – gegen die Remilitarisierung gegeben hat.

J.S.: Ich glaube, man muß dabei hauptsächlich zwei Dinge im Auge haben. Das erste ist, daß die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges gerade den deutschen Kommunisten die Frage des Friedens in hohem Maße auch zu einer unmittelbaren existentiellen Frage werden ließen. Sie fragten sich: Wieviel Zeit haben wir noch? Mit welchen Entwicklungen können wir rechnen? Müssen wir nicht in hohem Maße auch offensiv, alarmierend, herausfordernd diese Fragen aufwerfen? Müssen wir nicht auch durch scharfe Anklagen die dramatische Situation klarmachen? Es herrschte ja eine Art Endzeitstimmung, wenigstens die Stimmung einer unerhörten Gefahr. Im Bewußtsein der Menschen spielen immer wieder – wir haben mehrfach darüber gesprochen – Analogien eine große Rolle. Und die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges waren furchtbar genug für die, die radikale Kriegsgegner waren, die wußten, daß für die Sowjetunion, für die entstehenden sozialistischen Länder und für uns alle auch angesichts der deutschen Situation, der zerbombten Städte, des Elends, der Millionen Flüchtlinge usw. nichts schlimmer sein konnte als der Krieg. Und diese Atmosphäre, die ja einen realen Boden hatte, bewirkte auch eine Radikalisierung in den Problemstellungen und davon abgeleitet natürlich auch eine Radikalisierung gegenüber den Kräften, die diese Gefahr entweder nicht sehen wollten oder die unserer Meinung nach durch ihre Politik subjektiv oder objektiv, gewollt oder ungewollt, solchen Entwicklungen Vorschub leisteten. Ich will jetzt unsere damalige Analyse nicht entschuldigen. Ich will nur die Ursachen für diese Dramatisierung aufzudecken suchen, die aus der Zeit verständlich ist. In dieser Zeit veränderten sich allerdings bereits die Kräfteverhältnisse – 1949 hatte die Sowjetunion ihre erste Atombombe gezündet, und es gab eben nicht mehr die Situation des atomaren Monopols der USA.

F.D.: Zur Problematik der Dramatisierung möchte ich unbedingt noch eine Zusatzfrage stellen. Du hast jetzt den Zusammenhang der internationalen Situation – unter Einbeziehung der deutschen Frage – angesprochen. Das ist sicher die zentrale Ebene. Aber ich frage mich, ob es nicht noch eine andere Ebene gibt, ob die ganze Entwicklung bis zur Mitte der 50er Jahre (Spaltung Deutschlands, Remilitarisierung, Westintegration) nicht von vielen Antifaschisten – auch irn »bürgerlichen Lager« – als eine dramatische Entwicklung angesehen wird. Ich möchte an den Fall »Otto John« erinnern, über den vor einiger Zeit auch im Fernsehen berichtet wurde. Er ging als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1954 in die DDR, später kam er dann zurück. Die Details sind in unserem Zusammenhang jetzt nicht wesentlich. In der erwähnten Fernsehsendung hat er selbst im Interview über diese Dramatisierung gesprochen: als ehemaliger Widerstandskämpfer (Teilnehmer des 20. Juli) konnte er sich bei Adenauer nicht durchsetzen, weil dessen engster Berater Globke, Kommentator der faschistischen Rassengesetze usw., gewesen war. Der Richter am Bundesgerichtshof, der ihn dann später, nach seiner Rückkehr in die BRD, verurteilte, war ein ehemals hoher Nazi- und SS-Richter.

Für die Antifaschisten aus der Arbeiterbewegung und vor allem für die Kommunisten war es doch genau so: es war gar nicht unwahrscheinlich, daß sie jetzt wieder vor dem Richter oder Richtertypus standen, der sie selbst oder ihre Genossinnen und Genossen schon früher ins Zuchthaus oder ins KZ geschickt hatte. Es war gar nicht unwahrscheinlich (jetzt eher symbolisch gemeint), daß der Polizist, der in Essen Philipp Müller erschossen hat, vorher KZ-Wächter gewesen war. Und nochmal zur hehren Justiz: Es ist bekannt, daß ein Richter am Kasseler Verwaltungsgericht, der vorher »Rassenschandeurteile« und dergleichen fällte, bis zur Pensionierung fleißig Berufsverbotsurteile produzierte … Ich versuche mir einfach vorzustellen, wie Menschen, die unter dem Faschismus Unglaubliches erlitten haben, jetzt auf den Tatbestand reagiert haben, daß die sogenannte »Restauration« nicht nur ein gesellschaftlicher und politischer Vorgang war, sondern daß darüber hinaus eben im Staatsapparat keine wirkliche Entnazifizierung stattgefunden hat. Man kann sich doch nur zu gut vorstellen, daß die Betroffenen auf diese Erfahrung nicht nur mit Enttäuschung, sondern mit Verbitterung, ja auch mit Haß reagieren.

J.S.: Du hast absolut recht. Es vollzog sich die Restauration ökonomisch und politisch; es war personell eine weitgehende Renazifizierung, nicht Entnazifizierung. Man darf nicht vergessen, daß 1950/51, unmittelbar in Verbindung mit Korea, die Adenauer-Regierung von den Westalliierten forderte: Nun müßt ihr endlich Schluß machen mit der Entnazifizierung. Die große Mehrheit der Kriegsverbrecher, auch die Industriellen, werden zu dieser Zeit begnadigt. Das heißt, es vollzieht sich buchstäblich eine Renazifizierung. Sicher spielt das für die ganze Entwicklung der damaligen Politik eine wichtige Rolle. Dennoch würde ich sagen; die Hauptsache ist die unmittelbare Kriegsgefahr und die Verbindung der beiden Probleme: Remilitarisierung bedeutet Spaltung für lange Zeit, und das bedeutet eben den Boden für eine längere Periode der Kriegsgefahr, der Spannung und Konfrontation in Europa. Das bedeutet – wir mußten das in unsere Kalkulation immer einbeziehen – eine ökonomische, militärische Stärkung der USA, die damals eben – und bis heute – die entscheidende nicht nur antisowjetische, sondern reaktionäre Kraft in der Welt darstellen. Ich will noch etwas sagen zu dieser Kolonialisierungsthese. In dieser These gab es natürlich objektive Momente. Es gab ja nun einmal eine starke Abhängigkeit des sich restaurierenden westdeutschen Monopolkapitalismus von den USA, eine Abhängigkeit in vielen Richtungen. Der ganze Restaurationsprozeß, die Rettung der westdeutschen Monopole wären ohne die USA undenkbar gewesen. Aufgrund der inneren Kräfte wäre die Entwicklung nicht viel anders gelaufen das ist bis heute meine Überzeugung-als in der DDR. Nur: diese »Kolonisierungu hatte natürlich ihre Besonderheiten. Sie war im exakten historischen Sinne keine Kolonisierung. Das war eine starke Abhängigkeit, aber eben von Anfang an, gerade weil ja der Kurs in der USA-Politik die Wiederaufrichtung der militärischen und ökonomischen Potenzen des deutschen Imperialismus zum Ziel hatte. Die fortschrittlichen Amerikaner nannten das damals schon »Draperism«, nach dem General Draper, der personell der entscheidende Mann des US-Finanzkapitals war, der diese Politik in der amerikanischen Besatzungszone vorangetrieben hat. Es war eine Abhängigkeit, aber nicht im klassischen Kolonial-Sinne. Gleichwohl hatte der Begriff der Kolonisierung eine agitatorische Berechtigung. Er beinhaltete eine Zuspitzung. Analytisch war er sicher eine Übertreibung, und es bestand die Gefahr – und das ist vom heutigen Gesichtspunkt noch weit stärker zu unterstreichen –, daß dadurch die eigenen Ziele, die eigenen Bestrebungen, wenn auch in Abhängigkeit von den USA, des deutschen Großkapitals und der deutschen Reaktion unterschätzt wurden, daß diese Seite, die gegen die DDR gerichtet war, dann – noch weitergehend – der Versuch, die Politik der Stärke und die Westmächte zu instrumentalisieren für eigene Revancheziele, daß diese Seite, die wir später immer deutlicher gesehen und auch benannt haben, zunächst unterbelichtet, unterbewertet war.

G.M.: Ich hätte noch eine Frage, bevor wir diesen Komplex abschließen. Ich möchte noch nach Deiner persönlichen politischen Tätigkeit in der kommunistischen Bewegung seit der Rückkehr in die Westzonen fragen.

J.S.: Ich hatte schon erwähnt, daß ich in Köln stellvertretender Chefredakteur der »Volksstimme« war. Dann, als im April 1948 beschlossen wurde, den Parteivorstand in Frankfurt am Main zu schaffen, wurde mir vorgeschlagen, die Leitung der Presseabteilung beim Parteivorstand zu übernehmen. Das habe ich getan. Es war im Juni 1948. Wir haben damals einen Pressedienst für alle kommunistischen Zeitungen in der Bundesrepublik geschaffen. Ich habe ihn schon jahrzehntelang nicht in der Hand gehabt und weiß gar nicht, was da drinsteht. Ich war zunächst der einzige, der da produziert hat. Dann hatte ich noch einen jüngeren Genossen als Hilfe, der in der Schweiz in der Emigration gewesen war. Wir haben versucht, durch Kommentare zu größeren Entwicklungen unsere Presse zu bedienen: zu Wirtschaftsrats-Problemen, zu Ruhr- und Besatzungsstatut. Ich habe dann eine Broschüre über den Marshall-Plan geschrieben. Aber bald wurde ich von dieser Aufgabe abgelöst, weil die Genossen offenbar der Meinung waren, daß meine eigentlichen Fähigkeiten auf theoretischem Gebiet lagen. Das hing auch ein wenig mit »Wissen und Tat« zusammen und mit dem, was ich geschrieben hatte. Ich übernahm die Leitung der Schulungsabteilung, also der Bildungsarbeit der Partei und wurde dann später ins Sekretariat gewählt und für die ideologische Arbeit verantwortlich bis zu meinem Ausscheiden aus der Arbeit in der britischen Zone und in der Bundesrepublik.

G.F.: Zur gleichen Zeit, als Du in Frankfurt gewesen bist, tagte ja noch der Wirtschaftsrat seit 1947. Hattest Du Kontakt zum Wirtschaftsrat? Bist Du einmal dort gewesen?

J.S.: Ich war einmal dort, aber mehr auch nicht. Wir hatten im Wirtschaftsrat ganz ausgezeichnete Genossen. Das ist heute noch nachlesbar. Insbesondere Fritz Rische hat hervorragende Beiträge dort geleistet. Das IMSF hat vor Jahren ein kleines Buch von Aufsätzen und Reden von ihm herausgegeben, wo auch einige sehr frühe aus dem Wirtschaftsrat enthalten sind.14 Manches, was dort von unseren Genossen aufgedeckt wurde, ist wert, historisch festgehalten zu werden.

G.F.: Der Parteivorstand blieb wie lange in Frankfurt?

J.S.: Er blieb in Frankfurt nicht länger als etwa anderthalb Jahre. Dann zogen wir, da sich alles viel mehr auf Nordrhein-Westfalen konzentrierte, dorthin. Bonn war schon die Hauptstadt. Aber nach Bonn konnten und wollten wir nicht gehen mit dem Parteivorstand, wir wollten doch ins Industrierevier. Und um nun mindestens die Landesstrukturen zu beachten – und da es ja auch sehr nah am Ruhrgebiet liegt – sind wir nach Düsseldorf gegangen, wo wir übrigens sehr bald von den britischen Miltärbehörden aus dem Parteihaus herausgeholt worden sind. Das wurde besetzt.

Anmerkungen (Fußnoten)

  1. Josef Schleifstein, Die »Sozialfaschismus«-These. Zu ihrem geschichtlichen Hintergrund, Frankfurt/M. 1980.
  2. Georgi Dimitroff, Arbeiterklasse gegen Faschismus. Bericht, erstattet am 2. August 1935 zum 2. Punkt der Tagesordnung des Kongresses: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen Faschismus, Moskau-Leningrad 1935 (Reprint).
  3. Vgl.: Aus der Rede Ernst Thälmanns auf der Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands bei Zeuthen am 7. Februar 1933. In: Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, Berlin 1966, S. 446 f.
  4. Alexander Abusch, Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte, Berlin 1947.
  5. Das Prager Manifest von 1934. Kampf und Ziel des revolutionären Sozialismus. Die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, in: Wolfgang Abendroth, Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie. Das Problem der Zweckentfremdung einer politischen Partei durch die Anpassungstendenz von Institutionen an vorgegebene Machtverhältnisse, 4. Auflage, Köln 1978, S. 128–136.
  6. Die Brüsseler Konferenz der KPD (3. – 15. Oktober 1935). Herausgegeben und eingeleitet von Klaus Mammach, Frankfurt/M.1975.
  7. Albert Einstein/Max Born, Briefwechsel 1916 – 1955. Kommentiert von Max Born, München 1969, S. 179.
  8. Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands, 3 Bde., Frankfurt/M. 1975–1981; jetzt auch in einem Band: Frankfurt/Main 1983.
  9. Vgl.: Hans Fladung, Erfahrungen vom Kaiserreich zur Bundesrepublik, hrsg. und eingeleitet von Josef Schleifstein, Frankfurt/M. 1986.
  10. J. D. Bemal, The Social Function of Science, London 1939. Deutsche Ausgabe: Die soziale Funktion der Wissenschaft, Berlin 1986.
  11. Marcel Prenant, Biologie et Marxisme, Paris 1936.
  12. Was ist der Marshall-Plan?, Frankfurt/M. 1949.
  13. Vgl. Note der UdSSR vom 10. März 1952, in: Keesing‘s Archiv der Gegenwart, Jg. 1952, S. 3387–3388.
  14. Fritz Rische, Alternativen zur Wirtschaftspolitik des Kapitals 1945 – 1978, Aufsätze-Artikel-Reden, Frankfurt/M. 1980.
  15. Josef Schleifstein, Franz Mehring. Sein marxistisches Schaffen 1891–1919, Berlin 1959.
  16. F. Mehring, Gesammelte Schriften, 15 Bde., Berlin 1960–1967.
  17. Josef Schleifstein, Einführung in das Studium von Marx, Engels, Lenin, München 1972.
  18. Josef Schleifstein, Heinz Jung, Die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus und ihre Kritiker in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1979.
  19. Hans Koch, Franz Mehrings Beitrag zur marxistischen Literaturtheorie, Berlin 1959.
  20. Ein Gefühl der Befreiung, in: Deutsche Volkszeitung/die tat vom 14. Februar 1986, S. 15.
  21. Josef Stalin,Fragen des Leninismus,Moskau 1947.
  22. Deutsche Volkszeitung/die tat vom 14. Februar 1986.
  23. W. I. Lenin, Werke, Bd. 22, Berlin 1960, S. 364.
  24. 24 Ebenda.
  25. W. I. Lenin ,Der ‚linke Radikalismus‘,die Kinderkrankheit des Kommunismus, in: ders., Werke,Bd. 31,Berlin 1959, S. 1–91.
  26. Vgl. Das Argument, Jg. 1984, Nr. 144, S. 271–274; Jg. 1984, Nr. 148, S. 905–910.
  27. Gegenwartsprobleme des revolutionären Kampfes, in: Marxistische Blätter, Jg. 1967, Nr. 6, S. 1-8; abgedruckt in: Josef Schleifstein, Zur Geschichte und Strategie der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. 1975, s. 202–212.
  28. Robert Steigerwald. Josef Schleifstein wird siebzig, in: Unsere Zeit vom 15. März 1985, S. 15.
  29. Kleines Lenin-Wörterbuch, Frankfurt/M. 1971.
  30. Die Septemberstreiks 1969. Darstellung – Analyse – Dokumente der Streiks in der Stahlindustrie, im Bergbau, in der metallverarbeitenden Industrie und anderen Wirtschaftsbereichen, Frankfurt/M. 1969.
  31. Mitbestimmung als Kampfaufgabe, Köln 1972.
  32. Klassen- und Sozialstruktur der BRD 1950–1970, Teil I-III, Frankfurt/M. 1974/75.
  33. Der Staat im staatsmonopolistischen Kapitalismus der Bundesrepublik, Beiträge des IMSF, Bd. 6/1 und 6/11,Frankfurt/M. 1981/82.
  34. Die Frankfurter Schule im Lichte des Marxismus, Frankfurt/M. 1979.
  35. Walter Hollitscher, Der Mensch im Weltbild der Wissenschaft, Wien 1969; Josef Schleifstein, Enzyklopädischer Wissenschaftler dieser Zeit. Walter Hollitscher zum Gedenken, in: Deutsche Volkszeitung/die tat vom 18. Juli 1986, S. 15.
  36. Josef Schleifstein, 125 Jahre Kommunistisches Manifest, in: Marxistische Blätter, Jg. 1973, Nr. 1, S. 12–18.
  37. Vgl. Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF, Nr. 7, Frankfurt/M. 1984.
  38. Vgl. Intelligenz, Intellektuelle und Arbeiterbewegung in Westeuropa, hrsg. vom IMSF, Arbeitsmaterialien Bd. 16, Frankfurt/M. 1985, S. 606–610.
  39. D.F. Fleming, The Cold War and its Origins. 1917–1960, 2 Bde., New York 1961; David Horowitz, Kalter Krieg. Hintergründe der USAußenpolitik von Jalta bis Vietnam, 2 Bde., Berlin 1969.
  40. Sowjetunion zu neuen Ufern? Dokumente und Materialien, Düsseldorf 1986.
  41. H. Gollwitzer, Sowjetkritik und Antikommunismus, in: Das Argument, Jg. 1979, Nr. 113, S. 82–93; J. Schleifstein, Zu H. Gollwitzers »Sowjetkritik und Antikommunismus«, in: Das Argument, Jg. 1979, Nr. 115, S. 403–409.
  42. Vgl. V. L. Allen, The Militancy of British Miners, Shipley 1981.